Eine Zimmerreise

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Durch einen Gast, der zu Besuch kommt, wird das Zuhause mit neuen Erinnerungen möbliert. In meinem Wohnzimmer beispielsweise gibt es eine Stelle, die ich seit einigen Wochen anders wahrnehme. Sie liegt einen Schritt von der Türschwelle zum Flur entfernt. Aber es ist besser, wenn ich im Flur selbst beginne, denn auch er hat seine Unschuld verloren.

Zu Beginn der Berlinale wohnten Bruno und Minh-Tam ein paar Tage bei mir. Bruno ist Toningenieur und hatte die Mischung des serbischen Films »Otac« gemacht, der im Panorama lief und dort einen schönen Erfolg feiern sollte. Über ihn habe ich an dieser Stelle zum ersten Mal vor sechs Jahren geschrieben, in der kleinen Serie der »À l'écoute«. Minh-Tam, die Schwester meines Freundes Binh, arbeitet als Editorin, vorwiegend beim Fernsehen.

Sie reisten mit zwei Koffern an, von denen der eine, wie sich sogleich herausstellte, halb gefüllt war mit verschiedenen Käsesorten und zwei Flaschen Bordeaux. Ganz vorzügliche Gäste. Als Bruno ihr Gepäck durch den Flur trug, fielen ihm sofort die Holzdielen auf. Kaum hatte er es im Wohnzimmer abgestellt, ging er zurück in den Flur. Er schritt ihn zweimal ab. Dielenböden seien typisch Berlin, hatte Ina Weisse zu ihm gesagt, als er den Ton für ihren Film »Das Vorspiel« mischte. Nun freute er sich, das ihm aus dem Tonstudio wohl vertraute Geräusch selbst zu erzeugen. Er schritt von Entdeckung zu Entdeckung.

Ein paar Stunden später, sie hatten unterdessen eine kurze Siesta gehalten, da sie einen sehr frühen Flug aus Paris nehmen mussten, wies er mich auf die Stelle im Wohnzimmer hin, der ich bisher nie große Aufmerksamkeit geschenkt hatte. »Du hast hier einen besonderen akustischen Effekt«, sagte er und klatschte zweimal in die Hände. »Hörst Du den Hall? Den erzielst Du nirgendwo sonst in diesem Raum!« Ich versuchte es in den anderen Ecken. Und er hatte Recht: Dort gab es diesen Hall nicht. Er war erstaunt, dass mir das nicht früher aufgefallen war, immerhin stand mein Telefon gleich diesem speziellen Ort an der Tür und er hatte vermutet, es sei um der besseren Akustik willen dort installiert worden. Dieser Zusammenhang verblüffte wiederum mich und ließ die Berliner Fernmeldetechniker beinahe in meiner Achtung steigen. Allerdings trage ich das Telefon ohnehin meist in der Wohnung mit mir herum. Als ich sagte, oft würde ich das Klingeln in der Küche am Ende des Flurs gar nicht hören, reagierte er mit einem ungläubigen »Hm.«

Von nun an klatschte ich jedes Mal in die Hände, bevor ich ihnen den Morgenkaffee brachte. Am zweiten Tag wollte Bruno wissen, wie hoch meine Wände seien. Wir maßen sie zu dritt aus: Drei Meter vierzig; auch das typisch Berlin. Das ist ein Meter höher als sein Tonstudio, das er daheim in seiner ehemaligen Garage eingerichtet hatte. Bei meinem ersten Besuch in Ivry hatte ich mich bereits gewundert, dass ein baumlanger Kerl wie er in einem so niedrigen Raum arbeitete. »Es wäre ideal, wenn ich diesen einen Meter mehr hätte, meinst du nicht auch?«, fragte er Minh-Tam, die unternehmungslustig zugehört hatte. Er wäre kein großer Aufwand, die Decke zu erhöhen, meinte er, und fertigte rasch eine Skizze an.

Sie hatten viele Termine während ihres Aufenthalts in Berlin, die Premiere von »Otac« und diverse Essen mit Regisseuren und Kollegen. Aber sie kochten oft bei mir. Als sie am Montag wieder zurückfliegen mussten, ließ ich sie nur mit Bedauern gehen. Minh-Tam musste am Tag darauf den Schnitt einer Dokumentation in Angriff nehmen. Bruno hatte sich eine Erkältung geholt im Berliner Wetter. Damals, vor einem Monat, machte man sich noch nicht so viele Sorgen. Am Ende der Berlinale gewann sein Film einige Preise, über die wir Drei uns mächtig freuten. Gestern aß ich den letzten Käse, der wunderbar reif war. Der Wein lagert noch. An manchen Tagen kommt es vor, dass ich in die Hände klatsche, wenn ich das Wohnzimmer betrete.

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