Eine transatlantische Liebeserklärung

Einmal, und das ist die einzige Anekdote, die Jack Nicholson über die Dreharbeiten erzählt, hatte das Team Michelangelo Antonioni nach dem Mittagessen in Almeria vergessen. "Nun muss ich so tun, als sei ich wütend", vertraute der wiedergefundene Regisseur danach seinem Hauptdarsteller an. Sein schelmisches Lächeln hätte man natürlich gern gesehen. Aber es genügt vollauf, davon zu hören.

Im Audiokommentar, den Nicholson zu "Beruf: Reporter" eingesprochen hat, liefert er eine seiner besten darstellerischen Leistungen. Er agiert ganz uneitel darin, vielmehr aufmerksam dem Film und seinem Regisseur zugeneigt. Er ist neugierig darauf, was damals geschah und wie es heute wirkt. Diese wahrscheinlich unbezahlte Arbeit ist für mich kein Nebenwerk dieses Schauspielers, sondern ein schillerndes Zeugnis von Hingabe, Analyse und Abstand. Für ihn wird es vielleicht eine kostbare Auszeit gewesen sein, in der er zu einem Kino zurückkehren konnte, das er Anfang des Jahrtausends längst hinter sich gelassen hatte und in der er sich selbst als einem Schauspieler wieder begegnet, der noch nicht per Autopilot agierte. Nie hört es sich so an, als habe er beim Sprechen das feiste Haifischgrinsen aufgesetzt, das nach 1975 zu seinem Markenzeichen wurde.

In dem Roadmovie, das in fünf Ländern gedreht wurde, spielt er einen Fernsehreporter, der die Identität eines Mannes annimmt, der im Nebenzimmer seines Hotels stirbt und sich als Waffenhändler entpuppt. Kein wirklicher Thriller, aber eben auch keie Studie in Ennui. Die deutsche DVD-Edition, die ich gesehen habe, wartet noch mit einem zweiten Audiokommentar auf, dem des Drehbuchautors Mark Peploe, der auch gut und aufschlussreich ist, aber längst nicht so dicht und konzentriert. Als ich Nicholson zuhörte, dachte ich, wie bedauernswert es ist, dass dieses Ausdrucksmittel nicht schon früheren Schauspielergenerationen zur Verfügung stand, ausgewählten Vertretern wohlgemerkt: Wie hätte ein so kluger Kopf und Sprachkünstler wie Richard Burton wohl einen seiner Filme kommentiert?

Nicholsons Audiokommentar ist eine Rückblende in jene Zeit, als er sich noch in den Dienst eines Films stellte. Sein heutiger Blick und sein damaliger Status lassen und ließen ein spannungsvolles Gewähren zu. Es geniert ihn nicht, dass er für Antonioni vor allem eine Figur in der Landschaft spielte. Vielmehr fasziniert ihn, wie die Drehorte und der filmische Raum für den Regisseur zu Protagonisten werden. Der Nicholson, den ich dabei wiederentdecken durfte, ist jener weltoffene aber wahrscheinlich nie stille Amerikaner, der in den 1960er Jahren eine ganze Weile in Europa lebte (ein Jahr davon im Haus von Éric Rohmers Produzenten Pierre Cottrell). Darüber spricht er nicht explizit – er ist nicht die Hauptfigur dieses Kommentars -, aber erinnert sich glühend an jene Zeit nach der Nouvelle Vague, als man sich plötzlich Fragen stellte wie "What is the film?' rather than 'What is the story?'" Nicholson hat zwar zeit seiner Karriere nur amerikanische Charaktere verkörpert. Aber kein anderer Hollywoodstar seiner Epoche hat so häufig mit ausländischen Regisseuren gearbeitet wie er: neben Antonioni mit Polanski, Milos Forman, Tony Richardson und Hector Babenco.

Er kommentiert "Beruf: Reporter" aus einer Distanz von gut vier Jahrzehnten (er spricht von Antonioni noch als einem Lebenden, der Audiokommentar muss also vor 2007 aufgenommen worden sein) und nennt den Film das größte Abenteuer seines Lebens. Eingangs behauptet er, es sei schwer für ihn, zwischen der Erfahrung der Dreharbeiten und dem Film zu unterscheiden. Das gelingt ihm in der Folge allerdings ziemlich gut. Er tritt einerseits als Zeitzeuge auf, dessen Erinnerungsvermögen bewundernswert ist. (Und lebhafter als das Peploes; bei der Szene im Orangenhain ergänzen sie sich jedoch gut, wenn der Schauspieler erzählt, dass Antonioni alle Früchte anmalen ließ und der Drehbuchautor beklagt, dass ausgerechnet dieser lyrische Moment in der amerikanischen Schnittfassung fehlt.) Aber noch brillanter ist Nicholson als Interpret des Films.

Er betrachtet ihn als ein wacher Storyteller. Er weiß, was passieren wird, wirkt aber zuweilen trotzdem überrascht. Das große Mysterium des Schauspielens, planvoll und doch spontan zu agieren! Er kennt Antonioni genau, aber will nicht aufhören, verblüfft von ihm zu sein. Ein wissendes Erstaunen. Über die existenzielle Suche bzw. den Identitätstausch seiner Figur: "A man looking for something – that's really enough for Antonioni". Alle scheinen irgendwohin zu gehen im Film, aber man weiß nie wohin.. Oder über das Zufallstreffen im Park in Barcelona: "Another human observation: We tell the truth to strangers." Und noch schöner, weil ganz ohne Hollywood-Überheblichkeit: "Antonioni's idea of a car chase" Er schätzt es, mit dem Film in eine ganz andere Art von Kino gestoßen worden zu sein. Diese überwundene Fremdheit lässt ihn mitunter zum Philosophen werden, ganz leise und beiläufig und deshalb nie banal. Eine transatlantische Liebeserklärung.

Nicholsons Stimme ist gedämpft und kraftvoll, er geleitet uns mit einem eindringlichen Flüstern durch den Film. Er stellt eine enorme Intimität her. Manchmal genügt schon sein zustimmendes oder fragendes Brummen als Kommentar. Dann wieder wirkt es fast so, als habe er einen Text vorliegen, der präzise strukturiert ist. Sein Rhythmus ist bezwingend, die Wiederholungen sind genial: "Why argue?" fragt er zweimal, wenn das Paar sich streiten könnte, ganz im Einklang mit dem Fluss des Films. Bei der legendären Plansequenz am Ende läuft er zu Hochform auf; ihm gelingt ist ein Kabinettstück des sorgsamen Suspense. Wunderbar, wie er immer wieder angesichts ihrer unmöglichen Akrobatik frohlockt „Still one shot!“ Er wendet sich an uns als ein Eingeweihter, der die Geheimnisse lüftet und die Magie aufrechterhält. "It was great looking at the picture again", verabschiedet er sich, voller Demut und Stolz.

 

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