Ein neues Kapitel

Der Name Wells Fargo hat für jeden Westernfan einen guten Klang. Seit 1852 war die Firma im Transportwesen tätig und betrieb ein umfangreiches Netz von Postkutschen, die unverzichtbar zum Antlitz des Wilden Westens gehörten. Ihre Strecken führten sie oft in unwägbares, gefährliches Gebiet. Besonders riskant waren die Fahrten natürlich, wenn die Kutschen Lohngelder und dergleichen beförderten. Das sollte sich auch nicht ändern, als die Firmengründer Henry Wells und William Fargo ihre Aktivitäten stärker auf ein anderes Geschäftsfeld verlegten, die Finanzdienstleistung. Heute ist Wells Fargo eine Bank, die unter anderem eine Niederlassung in Frankfurt hat. .

Auf diesem Terrain mag das Unternehmen keinen so mythischen Ruhm errungen haben. Finanzkräftig ist die Bank allerdings trotzdem; zumal nach dem Kauf der Konkurrenten Northwestern und Monrovia scheint die Firma too big to fail. Bis vor wenigen Tagen war Wells Fargo neben J.P. Morgan der Hauptgeldgeber von Megan Ellisons Annapurna Pictures, über deren wirtschaftliche Bedrängnisse ich vor einer Woche an dieser Stelle schrieb. Nun hat Larry Ellison die Schulden in Höhe von 200 Millionen mit 82 Cent für den Dollar beglichen. Ungewöhnlich sind derlei Transaktionen wohl nicht; es hätte alles noch schlimmer kommen können für die Banken und die Produktionsfirma. An Negativzinsen werden auch wir uns wohl alle bald gewöhnen müssen.

Anfang August stand Annapurna vor etwas, das Branchenblätter wie "Variety" als "Chapter 11 Bankruptcy" bezeichnen. Die kennen sich im US-amerikanischen Insolvenzrecht zweifellos besser aus. Ich jedenfalls musste mich mit dem Begriff erst einmal per Suchmaschine vertraut machen. Besagtes Kapitel des Insolvenzrechts regelt die Reorganisation von Unternehmen, deren Verbindlichkeiten die eigenen Werte übersteigen. Es hätte den Finanziers durchaus passieren können, dass sie nur 50 Cent für den verliehenen Dollar zurückerhalten hätten. Auch für Annapurna hätte ein solches Insolvenzverfahren neben der Schmach noch ernstere Konsequenzen haben können. Megan Ellison hätte beispielsweise das Recht am Namen ihrer Firma verlieren können, der ihr, wie ich vor einer Woche ausführte, ja viel bedeutet. Die 2017 ausgehandelte Kreditlinie betrug insgesamt 350 Millionen Dollar, die weitgehend für die Kooperation Annapurnas mit MGM verbraucht wurden, die nun gemeinsam den Verleih United Artists betreiben. Es ist zwar immer noch möglich, dass dieser den (über-)nächsten Bondfilm in den USA herausbringt. Aber mit dem Einstieg ins kostspielige Verleih- und Marketinggeschäft fingen die Probleme für Megan Ellisons Unternehmen ja erst richtig an. Verluste von 35 Millionen hat dieser Vorstoß ihm allein 2018 eingebracht.

Derweil hat Annapurna angekündigt, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken. Fortan will die Produktionsfirma sich nicht mehr Geld bei Banken leihen (wobei ich bezweifle, dass Wells Fargo zu den Postkutschen zurückkehrt), sondern sich für jedes Projekt jeweils neue Partner suchen. Das könnte mittelfristig bedeuten, dass es seinen Produktionsumfang drosselt. Was keine schlechte Entwicklung wäre angesichts der Erfahrungen des letzten Jahres, als Annapurna acht Filme herausbrachte mit den bereits geschilderten, verheerenden Resultaten.

Der schöne Traum, das Zuhause für eigensinnige Filmemacher zu sein, geht anders weiter. In der Pipeline sind Filme mit Richard Linklater, Pablo Larrain und eine neue Version von Dickens' »Weihnachtsgeschichte«, von der es schon genug Adaptionen gibt, aber diese hat immerhin Tom Stoppard geschrieben. Erst einmal richten sich die Hoffnungen auf „Hustlers“, der in einer Woche während des Festivals von Toronto Premiere hat. Er basiert auf einem Artikel, der 2015 im Magazin "New York" erschien und handelt von mehreren Stripperinnen, die sich während der Finanzkrise auf Schwindeleien im großen Stil verlegen. Vielleicht sollte man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben, zumal Jennifer Lopez eine der Hauptrollen spielt. Andererseits hat Annapurna früher schon einmal mit einem amerikanischen Schwindel enorm Kasse gemacht.

 

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