Vergiftetes Narrenparadies

Am Set von »Wonder Wheel« (2017). © Warner Bros. Pictures

Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, sagte die Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig vor einigen Tagen, hätte sie nie in »To Rome with Love« mitgewirkt. Die Entschiedenheit ihrer Äußerung war beeindruckend, konnte aber nicht über deren grundlegendes Problem hinwegtäuschen: Gerwig weiß ebenso wenig wie wir alle, was vor 25 Jahren wirklich geschah.

Der Vorwurf, Woody Allen habe seine Adoptivtochter Dylan Farrow im Alter von sieben Jahren sexuell belästigt, macht uns zu ratlos Außenstehenden. Gerwig verfügt über kein Insiderwissen, aber über einen moralischen Kompass, dem sie vertraut; sie wird nie wieder mit dem Regisseur drehen. Mittlerweile wollen sich viele ihrer Kollegen und Kolleginnen von der Verbindung zu ihm reinwaschen. Nur allzu gern würden sie ihre Zusammenarbeit aus der eigenen Filmographie radieren. Mira Sorvino, die für ihre Nebenrolle in Allens »Mighty Aphrodite« mit einem Oscar ausgezeichnet wurde und ihrem Vater kürzlich dafür applaudierte, dass er Harvey Weinstein umbringen möchte, gehört dazu. Rebecca Hall bedauert zutiefst, dass sie sich durch ihre Mitwirkung in Allens gerade abgedrehtem Film »A Rainy Day in New York« gewissermaßen zu dessen Komplizin gemacht hat. Ebenso wie ihr Leinwandpartner Timothée Chalamet hat sie ihre Gage dem Rechtshilfefonds #Time'sUp gespendet. Auch für Colin Firth kommt eine erneute Zusammenarbeit nicht mehr in Frage.

Solche Entscheidungen erfordern derzeit viel Gratismut. Kate Winslet hingegen muss sich dafür rechtfertigen, die Hauptrolle in »Wonder Wheel« übernommen zu haben und Alec Baldwin geriet ins Kreuzfeuer, als er seine Unterstützung des Regisseurs kundtat. Zum ersten Mal seit fast einem halben Jahrhundert erscheint es nicht mehr als Ehre, von Allen besetzt zu werden, sondern kann Karrieren einen empfindlichen Schaden zufügen. Allerorten wird nun darüber diskutiert, ob die des Filmemachers nun auch vorüber ist. Viele Stimmen werden laut, die dies nicht mehr abwarten können.

Seine öffentliche Ächtung wäre zweifellos ein Triumph für die #MeToo-Bewegung, aber nicht zweifelsfrei ein Sieg der Wahrheit. Die Unschuldsvermutung hat schlechte Konjunktur im Augenblick. Es kann einem schwindlig werden bei diesem Mediengewitter, das Anschuldigung und Wissen bedenkenlos miteinander gleichsetzt. Es ist beinahe so beunruhigend wie die Vorwürfe selbst. Ob es vorüberzieht, ist noch nicht abzusehen. Der Furor, der für keinen Moment der (Selbst-)Prüfung innehalten mag, hat jedoch viele Anzeichen eines heftigen, passageren Phänomens. Er ist euphorisch. Es braucht inzwischen ein gerüttelt Maß an Optimismus zu hoffen, dass er in eine echte Auseinandersetzung über Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt mündet, die nachhaltig die Verhältnisse ändert.

Die Vorwürfe gegenüber Allen wurden erstmals im Verlauf des erbitterten Sorgerechtsstreits zwischen ihm und seiner damaligen Frau Mia Farrow laut. Bisher ist der Sachverhalt nicht rechtskräftig festgestellt worden. Zwei 1992 und 1993 unabhängig voneinander angestrengte Ermittlungen führten zu keiner Anklageerhebung. In der aktuellen Stimmungslage dient dies nicht der Entlastung Allens, sondern eher als Anlass, Behördenversagen oder gar Bestechung zu unterstellen. Der Argwohn, er könne sich eben die besten Anwälte leisten, scheint vorerst zu genügen und übertönt differenzierte, abwägende Überlegungen. Harry Nutt sprach kürzlich in der »Frankfurter Rundschau«, wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang (der unfasslichen Sexismus-Debatte um Eugen Gomringers Gedicht »Avenidas«), von einer Hermeneutik des Verdachts.

Vor laufender Fernsehkamera wirkte Dylan Farrow vor einigen Tagen glaubwürdig. Ist damit der von ihrem Bruder Moses geäußerte Verdacht, ihre Mutter habe sie seit Jahren systematisch gecoacht, entkräftet? Wenn es doch nur Indizien gäbe, die der Nachprüfbarkeit standhielten! Oder noch besser: ein Eingeständnis, von wem auch immer. Der Wunsch der aufgeklärten Öffentlichkeit nach Klarheit (und ich bin nach wie vor davon überzeugt davon, dass er existiert) wird sich schwerlich erfüllen. Denn wie meist in Fällen sexuellen Missbrauchs liegen auch hier keine erdrückenden Beweise vor, sondern steht Aussage gegen Aussage. Dass Dylans Babysitter streng instruiert worden waren, ihren Adoptivvater nie mit ihr allein zu lassen, wirft ein Schlaglicht auf das vergiftete Klima des Misstrauens, das in diesem Haushalt herrschte.

Im Gegensatz zu den anderen, einschlägigen Skandalen aus jüngster Zeit (Weinstein, Spacey, Wedel) gibt es momentan keine Weiterungen. Es sind keine neuen Vorwürfe hinzugekommen, sondern die alten stoßen auf eine andere Resonanz. Erscheinen sie deshalb in einem klareren Licht? Die Gegner Allens suchen nun nach Anhaltspunkten in seinem Werk. Dieser Frage gehe ich morgen, in der Fortsetzung meines Eintrags, nach. Dann wird endlich auch seine Überschrift einen Sinn ergeben.

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