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»Marseille« (2016). © David Koskas/Netflix

Die Idee von den zwei Körpern des König geht auf Juristen am Hofe von Queen Elizabeth I. zurück. Sie unterschieden zwischen dem natürlichen, konkreten und dem übernatürlichen, ideellen Körper des Monarchen. Der eine ist sterblich, der andere nicht. In dieser Vorstellung verschmelzen Religion und Staatslehre; mit gewissen Einschränkungen lässt sie auf die Demokratie übertragen, die ebenfalls eine Unterscheidung zwischen Amt und realer Person kennt.

Der Francois Hollande, der im Elyséepalast seine Funktion erfüllte, steht also für den ersten Aspekt. Der Francois Hollande hingegen, der nach Dienstschluss mit Motorradroller und Helm durch Paris zu seiner Geliebten sauste, repräsentiert den zweiten. Es trifft sich gut, dass diese eine Schauspielerin ist (Julie Gayet), mithin einen Beruf ausübt, in dem der Körper ebenfalls Doppeldeutigkeit besitzt: Schauspieler leihen ihn an ihre Figuren aus. Womit wir bei einem weiteren notorischen Rollerfahrer in Paris wären, Gérard Depardieu. Auf ihn lässt sich die Idee natürlich ebenso prächtig bertragen, wenngleich sich die wuchtige Konkretion seines Leibes letzthin immer stärker vor die Figuren drängt, die er spielt. Während Hollande nach dem Ende seiner glücklosen Regentschaft wohl bald nur noch eine historische Fußnote sein wird, ist Gégé nach wie vor ein französisches Nationalgut.

Mathieu Sapin hat beide Männer über mehrere Jahre hinweg, gleichsam als eingebetteter Comiczeichner, begleitet. Seine zwei Alben über Hollandes Wahlkampf und erstes Amtsjahr stießen bislang (und das wird gewiss auch so bleiben, siehe oben) bei keinem deutschen Verlag auf Interesse. Das über Depardieu liegt jedoch in in flinker Übersetzung vor, was gewiss nicht nur der Eitelkeit des Schauspielers schmeicheln wird, sondern ihm auch beträchtliche Schadenfreude bescheren dürfte – schließlich hat er nie einen Hehl gemacht aus seiner Verachtung für den »Strampler« im Elyséepalast (siehe Eintrag »Sein Bauch gehört ihm« vom 22.6.2015). Als öffentliche Figur hat er allemal das größere Gewicht: Wohin sie auch kamen, berichtet Sapin von ihren Reisen, überall wurde der Schauspieler wie ein Staatsoberhaupt empfangen.

Allerdings ist »Gérard – fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu« (erschienen bei Reprodukt) auch das lustigere Album, was wiederum wesentlich am Protagonisten liegt. Nach der Zeit mit dem wohltemperierten Politiker muss die mit dem Schauspieler Sapin wie eine Achterbahnfahrt vorgekommen sein. Er begibt sich in eine turbulente Geiselhaft (der Originaltitel hätte auch die Übersetzung »in den Klauen von Depardieu« zugelassen). Depardieu entblößt sich, immer wieder auch im Wortsinne, was ihn roh und unschuldig erscheinen lässt. Dafür verlangt er von seinem Chronisten unbedingte Ehrlichkeit. Du wirst das Leben eines Dummkopfs erzählen, gibt er im auf, der Dummheiten sagt. Um sein Image fürchtet er nicht, er betrachtet sich selbst vielmehr als ein Faszinosum, das wahrheitsgemäß beschrieben sein will. Der Zeichner löst diese Verpflichtung mit verschmitzter Akribie ein. Seine Panels stecken voller putziger Fußnoten. Dem Betrachter soll nicht das kleinste Detail entgehen.

Die Gründlichkeit, mit der Depardieu das Geschäft des eigenen Lebens betreibt, ist in der Tat faszinierend. So unglaublich seine Existenz auch ist, man glaubt Sapin jeden Augenblick. Er porträtiert eine Naturgewalt, stets auf dem Sprung in ein Anderswo, das ihm dann auch nicht genügen wird. Depardieus Maßlosigkeit ist dynamisch, facettenreich, nie monoton. Seine Selbstzweifel sind robust. Aber sein Elan ist so monströs, dass jeder Widerstand zwecklos scheint. Ungebremst setzt er sich den Wechselfällen seines Alltags aus und ist jeder Situation gewachsen: wie ein ungehobelter Schlafwandler, dem nichts passieren kann. Sein Wortschwall bricht nie ab (ganze zwei Seiten, der atmosphärische Auftakt zu Kapitel 4, kommen ohne Sprechblasen aus) und wenn er doch einmal in Schweigen verfällt, verschafft er sich mit Grunz-, Knurr- und Schnieflauten Gehör. Nach Donald Duck ist Depardieu zweifellos die herrlichste Legitimation der Onomatopoesie im Comic.

Ein guter Biograph, las ich vor ein paar Tagen, muss ein Feind sein, ein raffinierter Feind. Sapin ist es, ohne diese Bedingung zu erfüllen. Sein Humor ist raffiniert freundlich. Seinem Blick gebricht es nicht an Ironie, Distanz und Vorbehalt. Aber einer, der so viel Angriffsfläche bietet wie Depardieu, entwaffnet sein Umfeld. Also macht sich Sapin vor allem über die eigene Rolle in diesem Schauspiel lustig. Er zeichnet sich als zaghaften, eingeschüchterten Wicht, obwohl er weder so schmächtig ist noch sein Haar so schütter wie das seines Alter Ego. Manchmal bedarf auch ein Comiczeichner der Doppeldeutigkeit des Körpers. Denn das ist visuell schlicht witziger im Kontrast zu dem Koloss, dem er sich ausliefert. Als Schauspieler Depardieu tritt übrigens in all der Zeit nur einmal in Erscheinung, als Stalin unter der Regie seiner alten Freundin Fanny Ardant. Zwischendrin ist mal von seiner TV-Serie »Marseille« die Rede; die Einladung, zu einer Retrospektive seines Werks in der Cinémathèque francaise zu erscheinen, schmettert er ab. Vielleicht wohnen wir auf diesen 160 Seiten ja bereits der Abenddämmerung seiner Filmkarriere bei.

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