Im Prinzip ja

Am einem Samstagabend zu Beginn dieses Monats fand sich im Filmmuseum in Potsdam eine illustre Schar von Gästen, Rednern und Exzellenzen ein. Ursula von Keitz, die Leiterin des Museums, sprach einleitende Worte und gab dann die Stafette an Martina Münch weiter, die Ministerin für Bildung und Kultur des Landes Brandenburg, sowie an Ashot Smbatyan, den Botschafter der Republik Armenien, der sich freute, viele Landsleute begrüßen zu können.

Dies hochkarätige Aufgebot schien dem Anlass angemessen: Eine Ausstellung über Sergej Paradschanow sollte eröffnet werden, die "Kunst ohne Grenzen" heißt und noch bis zum 6. Januar läuft. Zaven Sargsyan von Parajanov-Museum in Jerewan führte in die Schau ein. Viele Worte musste er nicht verlieren, denn sie ist unvorstellbar klein: Sie hat auf gerade einmal vier Stellwänden mit Fotos und Reproduktionen Platz und zeigt nur einziges Original. Einen Kurator brauchte es hierfür nicht, auch von einer Szenografie muss nicht die Rede sein. Tatsächlich bereitete es betagten Besuchern der Vernissage einige Mühen, die unteren Exponate zu betrachten, weil sie dazu hätten in die Knie gehen müssen.

"Ihr Haus ist schön", beteuerte Sargsyan, um dann schalkhaft nachzulegen: "Schade nur, dass dieser Raum so klein ist". Auf die Frage, ob man dies nun tatsächlich eine Ausstellung nennen darf, hätte Radio Eriwan, das einst zuverlässig Einspruch erhob gegen die real existierende Unvernunft, keine listigere Antwort geben können. So winzig die Schau auch ist, erfasst sie Paradschanows Kunst doch in einer Nussschale. Sie verträgt die Reduktion; die Schau legt einen Kern frei, von dem aus die Gedanken in zahlreiche Richtungen ausschwärmen können. Ich jedenfalls bekam große Lust, die Arbeit des bildenden Künstlers und Regisseurs näher kennenzulernen. Natürlich kannte ich seinen Ruf, aber bisher war mir nur "Die Farbe des Granatapfels" als unerfreuliche Videoaufzeichnung untergekommen.

Im November war bereits eine Retrospektive seiner Filme im Berliner Arsenal zu sehen, die ich verpassen musste. (Das Kino bevorzugt die Schreibweise seines Namens, an die auch ich mich halte, während das Filmmuseum ihn Sergey Parajanov nennt.) Ein Teil seines Werks liegt jedoch auf DVD vor, angeblich auch restauriert, etwa bei "Russico", der Edition des Russian Film Council, mit deutschen und anderen Untertiteln, darunter drei Langfilme, die in Potsdam die Ausstellung begleiten. Sie sind eigentümlich; ihre Modernität ruht im Archaischen. Das hat einerseits mit dem Brauchtum und den Legenden zu tun, die er ohne lässliche Folklore zu filmischem Leben erweckt.

Der armenischstämmige Paradschanow hat in Georgien, der Ukraine, in Aserbaidschan und anderswo gedreht. Das Kino war für ihn eine Wunderkammer, in dem sich dieser erhebliche Teil des Weltganzen versammeln ließ. Die politischen Verhältnisse zwangen seine Kunst, nomadisch zu werden, was das Gegenteil von ortlos ist. Wohin er auch ging, überall fand er Granatäpfel vor. Symbolik und Ethnografie verschmelzen. Bestimmte Rituale, etwa das Verbinden der Augen des Paares bei der Heirat, spürte er in verschiedenen Kulturkreisen auf. Viele Bilder kehren wieder, wie in einem Gedicht oder in der Erinnerung.

Archaisch ist, unter Vorbehalt, auch seine Filmsprache. In »Feuerpferde-Schatten vergessener Ahnen« von 1964, »Die Farbe des Granatapfels« von 1969 und noch gut zwei Jahrzehnte später in »Kerib, der Spielmann« greift er auf das Vokabular des Stummfilms zurück: mit Stopptricks, die ihn als einen Schüler von Méliès ausweisen, mit Zwischentiteln und auch dem mutwillig stilisierten, gebärdenreichen Spiel der Darsteller, denen Worte zuweilen aus dem Off in den Mund gelegt werden. Die Kadrierung ist oft von tableauxhafter Frontalität; das Statische und die Bewegung sind dynamisch hintereinander gestaffelt. Fast könnte man ihn für einen Ikonenmaler des Kinos halten, aber die Figuren treten in Komposition ein, die oft aus der Vorzeit der Perspektive zu stammen scheinen, um körperliche Präsenz in einer kulturellen Überlieferung zu gewinnen: ein Schillern zwischen Innehalten und Bewegungsrausch. Die Montage vollzieht sich als Fluss autonomer Bilder; manchmal rückt er einfach nur immer näher an ein gestisches Detail heran.

Ich war fest davon überzeugt, dass sich sein Kino nur in der Farbe artikuliert. Ich fand Gegenbeispiele, etwa das monochrome "Einsamkeit"-Kapitel in »Feuerpferde« sowie eindrucksvolle Ausschnitte aus einem frühen Film, der mir partout nicht wie eine Auftragsarbeit vorkommen wollte. Generell lag ich jedoch nicht falsch mit meinem Vorurteil. Die Farbe lodert bei ihm, das Rot des Granatapfels setzt sich fort im Rot von Blut und einmal auch im Geäst eines Baums. Sie spielt eine dramatische Rolle, findet sich wieder im Akt des Färbens, Eintauchens oder Übergießens. Meine Beschäftigung mit Paradschanow mag verantwortlich sein für den Rotstich, den der vorangegangene Eintrag besitzt. In »Feuerpferde« löst sich das Rot am Ende kühn aus Stofflichkeit und Realität.

Während Terrence Malick seine Filme ruhig aus der Perspektive der Natur dreht, überantwortet sich die Kamera bei Paradschanow den geisterhaften, den Seelenkräften, die in ihr wesen. Sie bahnt sich ihren Weg durch Gräser und Gestrüpp. Der Wind blättert die Seiten von Büchern auf. Dergleichen habe ich im Kino noch nicht mit solcher Wucht erlebt. Die Elemente greifen in die Montage ein, bei einem Gewitter erstarren die Bilder in »Feuerpferde« für Sekundenbruchteile zu Freeze frames. Das Kino als Terrain der Zauberwandlung. Derlei fügte sich nicht den Geboten des sozialistischen Realismus. Dabei hatte er an der Moskauer Filmhochschule WGIK studiert, unter Dowschenko, dessen "Erde" er nicht kannte, aber absolut verstand. Sein wichtigster Lehrer war der heute wenig bekannte Sawschenko, der von seinen Schülern Wunder erwartete, die Paradschanow und Marlen Kutsiev tatsächlich lieferten.

Seine Filme hatten zum Teil enorme Zuschauerzahlen. Dennoch fiel er als Freischärler bald in Ungnade. Er wurde der Homosexualität und des Surrealismus' bezichtigt, des illegalen Handels mit Antiquitäten und der Anstiftung zum Selbstmord, auch die Anklage ein furioser Gemischtwarenladen! Er kam ins Gefängnis und durfte 15 Jahre kein Filmstudio mehr betreten. Im Gefängnis profitierte er von Sawschenkos Lehren, der seine Studenten dazu anhielt, ihren Gedanken plastische Form zu verleihen. Er zeichnete, fertigte Collagen an, die in der Potsdamer Schau ihre Verwandtschaft mit den Filmen belegen. Mit den beiläufig drapierten Walnüssen hat es seine Bewandtnis. Im Westen hatte er namhafte Fürsprecher, die seelenverwandten Surrealisten Louis Aragon und Elsa Triolet sowie den Schriftsteller John Updike. Der Drehbuchautor Tonino Guerra, ein anderer großer Kinopoet, suchte ihn auf, so oft es ging.

Ich hätte Paradschanows Werk schon vor einem Vierteljahrhundert entdecken können, ein müssen, als ich auf einer Party in Paris einen amerikanischen Kunststudenten kennenlernte, der von ihm schwärmte. An dem Samstagabend in Potsdam passierte sein Leben noch auf andere Weise, unter anderen Vorzeichen Revue. Lusine Khachatryan, die »Dichterin des Klaviers«, erwies ihm in der Performance »Senhnsucht« ihre Reverenz. Das war eine Passage durch mehrere Jahrhunderte armenischer Kultur, namentlich durch das Werk des Poeten Sayat Nova, dessen Biographie er in »Die Farbe des Granatapfels« durchaus chronologisch erzählt, und Kompositionen von Aram Khatschaturyan, umfangen von Volksliedern und Tänzen. Das Pathos und die Ergriffenheit der Interpretin unterschied sich vom Stil des Regisseurs, war aber ganz dem verpflichtet, was der einmal als sein großes Thema benannte: zu zeigen, was ein Volk durchlebt und durchleidet.

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