Die treue Frau

»Die untreue Frau« (1969)

Seine Vorliebe für den Vornamen Hélène erklärte Claude Chabrol einmal damit, es sei der einzige, zu dem es keine maskuline Variante gibt. Ihn faszinierte die nicht übertragbare, die exklusiv feminine Identität. Bereits mit der Namensgebung verlieh er seinen Heldinnen Souveränität.

In den Filmen, die er in den 60er und 70er Jahren mit Stéphane Audran drehte, trägt sie praktisch ausnahmslos diesen Vornamen (Ob sie wohl eifersüchtig war, als sich Caroline Cellier ihn für »Das Biest muss sterben« auslieh?). Übrigens verkörpert sie unter diesem Namen höchst gegensätzliche Figuren. Während der Geliebte der Hélène in »Die untreue Frau« sie als anschmiegsam und entgegenkommend empfindet, wirkt ihre Namensgenossin in »Der Schlachter« unnahbar. "Mademoiselle Hélène", wie Popaul (Jean Yanne) sie ehrfurchtsvoll nennt, kann sich nicht hingeben, weil sie Schmerz und Enttäuschung einer früheren Liebe nicht verwunden hat. Audrans hohe Wangenknochen verleihen ihrem Antlitz etwas Maskenhaftes; seinem Star (der zugleich seine Ehefrau war) hat der Regisseur immer ein Flair der Unergründlichkeit belassen. Er respektiert das Entrücktsein auch dieser Hélène, entdeckt darin aber Wärme und Großzügigkeit. Chabrols Film über die barbarische Natur des Menschen ist bestürzend ruhig, ein Stillleben der Abgründe. Diese Ruhe verleiht ihm vor allem Audrans Präsenz. Das Wechselspiel von Vorbehalt und freundschaftlichem Gewährenlassen, mit dem sie auf die Avancen des verliebten Schlachters reagiert, verleiht ihrer Beziehung eine unverhoffte Tiefe: eine der großen, tragischen Liebesgeschichten des französischen Kinos.

Zum ersten Mal trug sie 1962 diesen Vornamen für ihn: In »Das Auge des Bösen«, dessen restaurierte Fassung sie vor zwei Wochen noch in der Cinémathèque francaise hätte vorstellen sollen (siehe Ambulante Nachbarschaft" vom 19.3.). Vor einer Stunde erfuhr ich nun aus einer Pressemitteilung der französischen Filmakademie, weshalb sie nicht zu diesem Termin erschien: Heute ist Stéphane Audran in den frühen Morgenstunden, wie ihr Sohn Thomas Chabrol mitteilte, nach längerer Krankheit entschlafen.

Ich bin überzeugt, wenn es ihr besser gegangen wäre, hätte sie die Gelegenheit nicht verpasst, über die Zusammenarbeit mit ihrem zweiten Ehemann zu sprechen. Mit dem Ende ihrer Ehe 1980 war die Komplizenschaft der Zwei nämlich längst nicht vorüber. Bis 1992 trat sie noch in sieben charismatischen Haupt- und Nebenrollen bei ihm auf. Und ich erinnere mich noch gut an meine Verblüffung, als ich sie 2006 in Paris in der Pressevorführung von „Geheime Staatsaffären“ entdeckte, in dem nun Isabelle Huppert die Hauptrolle spielte, die ohnehin eine prächtige Nachfolgerin für sie in Chabrols Filmen war.

24 Kino- und zwei TV-Filme haben sie zusammen gedreht, was ziemlich genau ein Viertel ihrer Filmographie ausmacht. Es ging 1959 mit „Schrei, wenn Du kannst“ los. In »Die Unbefriedigten« war sie schon sehr gut in ihrer blutvollen Trägheit. Mit »Zwei Freundinnen« (für den sie den Silbernen Bären in Berlin gewann) nahm ihre Zusammenarbeit dann endgültig Fahrt auf,. In Audran und Michel Bouquet fand Chabrol das prototypische Paar für die Ära Pompidou, der vielleicht glänzendsten Epoche seines Oeuvres. Auf den ersten Blick muten die sinnliche Audran und der schmallippige Bouquet wie eine Mesalliance an: Sie sind die unverträglichen Zellengenossen in einem materialistischen Gefängnis. Ihr laszives Körperspiel wirkt in »Die untreue Frau« wie eine Herausforderung an sein selbstzufriedenes Phlegma, sie ist eine Spur zu kokett für den saturierten Bourgeois. Zugleich ist ihre Gegensätzlichkeit der Garant einer heiklen Balance, die über das bloße bürgerliche Arrangement hinausweist. Mit scharfsichtiger Zärtlichkeit betrachtet Chabrol, wie dieses Gleichgewicht umkippt, als Charles entdeckt, dass Hélène eine Affäre hat. Ihr Seitensprung bringt Bewegung in ein erstarrtes Zusammenleben. Auf einmal erscheint es beinahe möglich, als ließe sich eine längst verlorene, zuvor nie wirklich erprobte Vertrautheit herstellen zwischen den Eheleuten. Von ihrer sinnlichen Aura profitierte Chabrol besonders bei »Blutige Hochzeit«, der anarchisch aus der Reihe der Pompidou-Ära-Filme fällt.

Sie amüsierte mich sehr als argwöhnische, an den Rollstuhl gefesselte Mutter in »Hühnchen in Essig«. Aber vor allem mochte ich sie in ihrem letzten gemeinsamen Film, der Simenon-Verfilmung »Betty«. Da spielt sie Laure, die die in ihrem Hotel gestrandete Titelheldin (Marie Trintignant, die Tochter ihres ersten Mannes Jean-Louis, allerdings aus einer späteren Ehe) unter ihre Fittiche nimmt. Es ist hinreißend, wie sie in dem Film raucht. Die nachdrückliche Beiläufigkeit, mit der Chabrol sie stets mit einer Zigarette im Mundwinkel filmt, verrät viel über seine Sympathie für nonchalante Frauen, die bei ihm regelmäßige bürgerliche Posen und Doppelmoral verspotten.

Manchmal sah ich sie sogar noch lieber, wenn sie nicht bei ihm spielte. Da wirkt sie noch ungebundener.  Ich habe eine Schwäche für ihre Verruchtheit in Anatole Litvaks bizarrem »Die Dame im Auto mit Brille und Gewehr«. An der Seite von Trintignant in »Neun im Fadenkreuz« erinnere ich sie erst einmal als elegante Bikini-Schönheit. Klug und gewitzt wirkt sie eigentlich immer in den Filmen der 70er. Großartig ist sie natürlich auch bei Bunuel als sinnenfrohe Ehefrau in »Der diskrete Charme der Bourgeoisie«, deren Abendessen mit Freunden ständig vereitelt wird. Sie war übrigens ein großer Gourmet; schon vor der Ehe mit Chabrol. (Merkwürdig, aber ich hatte nie große Lust, mir »Babettes Fest« anzuschauen, mit dem sie einen ihrer größten Triumphe feierte.) In »Der Saustall« von Tavernier, einem weiteren Feinschmecker unter den Regisseuren Frankreichs, wiederum war sie trefflich; Sarkasmus und Abgeklärtheit gerieten ihr stets zu erfreulichen Charakterzügen.

Mit dem amerikanischen Kino liebäugelte sie nur halbherzig, obwohl sie sogar einmal in einem Western auftrat. Ich glaube, man fand sie zu kühl, tatsächlich aber denke ich, sie war zu mediterran. Mit Sam Fuller allerdings verband sie spätestens seit »Tote Taube in der Beethovenstraße« (auch da hat sie einen wunderbaren Rollennamen, "Dr. Bogdanovich") eine enge Freundschaft. In »The Big Red One« hat sie eine starke Nebenrolle als Résistancekämpferin, ebenso wie an seiner Seite in »Söhne« von Alexandre Rockwell. Vor zehn Jahre trat sie zum letzten Mal in „Das Mädchen aus Monaco“ vor der Kamera auf. Aber das ist vielleicht nicht die letzte Kinorolle, in der wir Stéphane Audran zu sehen bekommen werden. Falls je etwas aus dem haarsträubenden Plan wird, Orson Welles legendär unvollendeten »The other Side of the Wind« fertig zu stellen (hoffentlich, denn ich habe zum ersten Mal bei einem Crowdsourcing mitgemacht), dürfen wir uns auf einen Gastauftritt von ihr freuen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt