Ein treuer Schwerenöter

Jean Rochefort

Einmal stand ich in einer Schlange vor ihm. Aber die Garderobiere händigte dann doch zuerst ihm den Mantel aus. Wir drei waren uns einig, dass diese Bevorzugung unbedingt gerechtfertigt war. Jean Rochefort bedankte sich verschmitzt, wir nickten uns höflich zu und er ging nonchalant seiner Wege.

Gern hätte ich statt dessen "beschwingt" geschrieben, denn das hätte gut zu meinem Bild von ihm gepasst. Aber er wirkte damals schon gebrechlicher, als seine Leinwandauftritte vermuten ließen. Natürlich wusste ich, dass Terry Gilliams erster Versuch, »The Man who killed Don Quixote« zu drehen, an einer Erkrankung Rocheforts gescheitert war. Ich darf jedoch voller Genugtuung hinzufügen, dass er zum Zeitpunkt unserer flüchtigen Begegnung noch ein, zwei große Rollen in sich hatte.

Zuallererst denke ich da »Das Mädchen und der Künstler« von Fernando Trueba, der eigentlich ein Altherrenfilm sein müsste, es dank Rochefort und des Drehbuchs von Jean-Claude Carrière dann aber doch nicht ist. Eine junge Frau, die dem Widerstand gegen Franco angehört, steht darin seinem alternden Bildhauer Modell. Der Künstler fühlt zwar den Tod nahen, aber die Arbeit mit seiner letzten Muse lässt ihn noch einmal die Kraft des Lebens spüren. Das geht, obwohl es sich um eine Aktstudie handelt, recht unverfänglich zu. Rochefort konnte da fein unterscheiden. Sein schweres Atmen habe ich noch im Ohr, es verdankt sich aber nicht einer etwaigen Erregung, sondern den Mühen der künstlerischen Arbeit. In einer Pause essen sie zusammen. Bei dieser Gelegenheit kehrt er die Schöpfungsgeschichte um. Für ihn wurde Adam aus Evas Rippe geschaffen. Als zweiten Beweis, dass das alles nicht so war, wie die Bibel behauptet, führt er eine Flasche Olivenöl an, die auf dem Tisch steht. Das klingt schlüssig, auch wenn es auf dem Papier überhaupt nicht funktioniert. Ein phantasiebegabter Schauspieler.

Vor einer halben Stunde erhielt ich von der französischen Filmakademie die Nachricht, dass er heute im Alter von 87 Jahren gestorben ist. Der Nachruf des Akademiepräsidenten Alain Terzian beschwört sein Talent und seinen Rang in höchsten Tönen. Das passt zu Rochefort. Nicht nur, weil er eine Institution, eine Legende im französischen Kino der letzten 60 Jahre war. Sondern auch, weil dieser Schauspieler mit großen Worten umgehen konnte. Er konnte in ihrer Pracht schwelgen und sie entlarven. Die Entzauberung geriet ihm dann ebenso schwelgerisch. Das zählt viel im französischen Kino, wo der Sprechakt die zentrale Handlung ist. Die wortgewandten, bei aller Schwerenot leise melancholischen Verführer lagen ihm vorzüglich.

Er war übrigens der erste Schauspieler, der überhaupt je einen César gewann: In der ersten Zeremonie, über der 1976 Jean Gabin präsidierte, erhielt er ihn als Bester Nebendarsteller in Bertrand Taverniers »Wenn das Fest beginnt«. Zwei weitere César folgten, kurz darauf als Bester Hauptdarsteller und 1999 für sein Lebenswerk. Die ersten zwei Kategorien sind bezeichnend (das Lebenswerk natürlich auch, da gab es stehende Ovationen, die einmalig in der Geschichte des Filmpreises sind), denn er gehörte einerseits zu jener Riege von Charakterdarstellern, deren heroische Verlässlichkeit allein schon den Ruhm des französischen Kinos rechtfertigt. Aber er konnte eben auch in Hauptrollen glänzen. Mit einem solch kapitalen Schnurrbart kann man natürlich nur in Frankreich zum Star werden. Aber er war zudem hochgewachsen und schlank: ein stattliches Mannsbild, fürwahr. In manchen Filmen war er Beides gleichzeitig, Charakterdarsteller und Star, etwa in den hübschen Ensemblekomödien »Ein Elefant irrt sich gewaltig« und »Wir kommen alle in den Himmel« von Yves Robert und Jean-Loup Dabadie (es hat schon seinen Grund, weshalb ich bei ihm so oft die Dialogautoren nenne).

Zusammen mit Belmondo, Claude Rich, Jean-Pierre Marielle und Annie Giradot war er auf dem Konservatorium und kam praktisch zeitgleich mit ihnen zum Kino. Bebels Partner war er oft, am schönsten ergänzten sie sich in Philippe de Brocas Abenteuerkomödien. Er blieb seinen Partnern und Regisseuren treu. Mit de Broca drehte er oft, auch mit Yves Robert und später sieben Mal mit Patrice Leconte. Diese Stegreifliste zeigt schon, dass er ein versierter Komödiant war. Aber wie jeder große Komödiant war er auch ein exzellenter Schurke. Man denke nur an den kühlen, pedantischen Geheimdienstchef in »Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh« und den argwöhnischen Kommissar, den er als Gegenspieler Philippe Noirets in Taverniers Debüt »Der Uhrmacher von Saint Paul« verkörpert.

Solche Besetzungscoups funktionierten nicht zuletzt deshalb, weil er wie die französische Spielart eines britischen Gentleman wirkte. Seine Karriere stand im Zeichen von Raffinement und Eleganz. Eine solche Aura hat kein Verfallsdatum, zumindest nicht bei einem wie ihm. Darin können lange Zeit romantische Unternehmungslust und Zuversicht nisten. Mit einem anderen Hauptdarsteller als ihm hätte »Der Mann der Friseuse« nicht funktioniert. Bei den Dreharbeiten war er fast 60, aber es ist glaubhaft, wenn er sich wie ein schüchterner Schuljunge in Anna Galiena verliebt. Mein Lieblingsmoment ist der, wo er sich auf dem Weg zu ihrem Salon stolz aufrichtet und damit Mut für die Wiederbegegnung macht. Als er sie dann sieht, ist er fast um Worte verlegen. Auf ihre Frage, was er denn wünsche, antwortet er reichlich banal: "Einen Haarschnitt". Aus Rocheforts Mund klingt das nicht wie eine Selbstverständlichkeit, sondern als sei es eine Erkenntnis, die ihn selbst überrascht. 

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