Der richtige Mann 2

Henry Fonda in »Der junge Mr. Lincoln« (1939)

Auch Fonda hatte exzellente Nachfolger. Allerdings ist sein Erbe zweischneidig. Ohne ihn wären die schweigsamen Westerner Clint Eastwoods undenkbar. Bei Fonda ist die Autarkie aber bereits gebrochen, was vor allem das Verdienst John Fords ist.

Ihre Helden agieren nicht auf eigene Rechnung, sondern als Teil der Gemeinschaft. Sie ist durchaus ambivalent, kann gespalten sein, aber auch versöhnt werden. Der junge Mr. Lincoln schafft es, einen Lynchmob zu befrieden. (Das gelingt in William Wellmans »Ritt zum Ox-Bow« nicht, einem erklärten Lieblingsfilm Eastwoods.) In Fondas Legende herrscht der Glaube an ein übergeordnetes Ziel, das die Gesellschaft anstreben soll. Nicht von ungefähr hat er so oft Politiker verkörpert. »Henry Fonda for President« heißt dementsprechend die Wiener Filmreihe. Sie ruft ihn als eine reife Sehnsuchtsfigur auf. Welch tiefes Verlangen er bei Zuschauern und Filmemachern auslöste, wurde mir neuerlich klar, als ich vor ein paar Tagen Sidney Lumets Audiokommentar zu »Fail-Safe« (Angriffsziel Moskau) hörte: »Schon sein Nacken ist präsidial!« frohlockt der Regisseur bei der nahen Rückenansicht, mit der die Figur einführt. Inzwischen sind wir bei Fondas zweitem Erbe angelangt: dem Weg, den er den attraktiven Hollywoodliberalen der nächsten Generation ebnete, Beatty, Newman, Redford und seiner Tochter Jane.

Freilich sind wir auch an einem Punkt angekommen, wo es höchste Zeit wird für Revisionen. Devin McKinneys Biographie »The Man who saw a ghost«, die vor fünf Jahren erschien, ist dafür ein ausgezeichneter Stichwortgeber. Zwar waren mir schon zuvor einige Schattenseiten bekannt: der Ehemann, der emotional unansprechbar war; der abwesende, zu Zornesausbrüchen neigende Vater; der unzugängliche Darsteller auf Filmsets. McKinney erweitert diesen Blickwinkel mit zugeneigter, phantasievoller Unerbittlichkeit. Er betrachtet ihn ohne Entlarvungsfuror, aber voller Wachsamkeit. Er weiß, wie gefeit Fonda gegen Entzauberung ist.

Besonders intrigiert hatte mich immer die unerhörte, siebenjährige Auszeit, die sich Fonda ab 1948 vom Filmgeschäft nahm. Darüber erfährt man viel. Gelegentlich kommt McKinney auf Rollen zu sprechen, die dann Andere spielten. Fondas Phantomfilmographie ist lang, unser Bild von ihm hätte sich aber nicht wesentlich geändert, wenn aus diesen Projekten etwas geworden wäre – mit Ausnahme vielleicht seines großen, unerfüllten Traums, George in »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« zu spielen. Nebenbei eröffnet Mc Kinney immer wieder schillernde Panoramen der Zeit- und Filmgeschichte. Er ist der Biograph, den Fonda verdient.

Ein Film, den er links liegen lässt, ist »Fail-Safe«. Fondas andere Politfilme aus den frühen 60ern erscheinen ihm bezeichnender, »Sturm über Washington« und »Der Kandidat«. In Letzterem wagt er ein heroisch unamerikanisches Zögern, aber in Beiden spielt er keine lupenreinen Demokraten. Das war, wenn man es recht bedenkt, ja auch sein Geschworener Nr. 8 nicht, der in anderthalb Stunden eine Jury umdreht. Ich hatte fast vergessen, dass er in Premingers Film ein Opportunist und Lügner ist; wieder einmal geriet da der Figur die Aura des Schauspielers in die Quere. Diese Spannung ist bei Lumet noch stärker. In »Fail-Safe« versucht der von ihm gespielte US-Präsident, einen Atomkrieg abzuwenden. An diese Krise geht er gefasst und umsichtig heran; die Anspannung und Verzweiflung seiner Figur verheimlicht Fonda nicht. Er ist der richtige Mann in diesem Amt, die Menschheit könnte sich keinen vertrauenswürdigeren Gewährsmann für ihr Fortbestehen wünschen. Bei Fondas Politikern darf man stets ein Gefühl der Verantwortung gegenüber der Geschichte voraussetzen.

Aber am Ende trifft der Präsident eine entsetzliche Entscheidung, die zu ertragen unmöglich ist. (Lumet wurde beim Dreh völlig überrascht von der Geste, mit der er dabei sein Gesicht verbirgt.) Er ordnet ein alttestamentarisches Opfer an, das auch den Tod der First Lady einkalkuliert. Sieht man diese Szene in anderem Licht, wenn man weiß, dass Fonda wenige Stunden nach dem Selbstmord seiner zweiten Ehefrau schon wieder auf der Bühne stand? (Überhaupt, so viele Suizide in seinem Umfeld, von Freunden, Frauen und Exfrauen – schreckte er deshalb vor der Rolle des resignierten Mentors in »La Dolce Vita« zurück, die ihm Fellini anbot?) Die Suche nach biographischen Grundierungen stößt bei Fonda oft an ihre Grenzen. Aber ich vermute, dass er so überzeugend als Politiker war, weil er die Kluft zwischen öffentlicher Figur und Privatmensch genau kannte.

Das Publikum konnte seit »Der junge Mr. Lincoln« mitverfolgen, wie er in die Rolle des Landesvaters hineinwuchs. Diese Teilnahme mag erklären, dass die Aura des wohlwollenden Patriarchen allen Anfechtungen widerstand. 1963 wurde Fonda far zum Vater des Jahres gewählt. Diese Auszeichnung muss nicht nur seine Kinder und Ehefrauen erstaunt haben. Warum ging sie nicht an Gregory Peck, der gerade in »Wer die Nachtigall stört« den verständigsten Vater der Filmgeschichte verkörpert hatte? Im Mai des Jahres kam ein Film heraus, mit dem Fonda ihm jedoch arge Konkurrenz machte: »Spencer's Mountain« (Sommer der Erwartung), die Verfilmung des Romans, auf dem auch die spätere TV-Serie »Die Waltons« beruht. Die Filmgeschichtsschreibung fasst ihn nur mit spitzen Fingern an, in Wien fehlt er und bei McKinney auch. Diese Periode im Werk des Regisseurs Delmer Daves steht nicht eben hoch im Kurs. Schon damals muss das ein ziemlich altbackenes Stück Americana gewesen sein, eine konservative, bukolische Utopie. Aber Fonda hat darin seine schönste Vaterrolle, einen sinnenfrohen, aufgeklärten Puritaner, der mit dem Klerus über Kreuz liegt, aber sonst im Einklang ist mit Gottes Schöpfung. Er kennt das Glück gestundeter Lebensträume und versteht die Notwendigkeit, ihnen zu folgen. Mit schöner, gelassener Beweglichkeit begleitet die Kamera den Alltag seiner Familie; sanfte Überblendungen schüren die Zuversicht, dass alles seinen richtigen Weg gehen wird. Das Amerika, in dem »Spencer's Mountain« spielt, ist das gelobte Land. Ich habe ihn erst spät entdeckt, in einem Alter, als ich längst wusste, dass es nicht so ist. Aber für zwei Stunden überzeugte Fonda mich vom Gegenteil. Er beglaubigte diese Idylle. Sie erschien vertraut; ein Sehnsuchtsort musste sie nicht werden. Hier bringt er seine Gabe des Abstands ins Spiel. Einmal erzählt er seinen Kindern, er habe seinen eigenen Vater immer mit »Sir« angesprochen. In diesem Moment begriff ich, weshalb ich ihn nie Hank nennen konnte.

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