Narrenfreiheit

Die Bilder, die er wählt, sind drastisch. In einem Nachruf würde die Anschaulichkeit seines Vokabulars pietätlos klingen: von Leichenruhe ist die Rede und von einem trostlosen Grab. Aber Eckart Schmidt will keine Rücksichten nehmen in dem Nekrolog, den er vor einigen Tagen in der Wochenzeitung „der freitag“ veröffentlicht hat (https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wir-muessen-hier-raus). Er ist dem deutschen Kino gewidmet.

Schmidt muss sie wohl auch nicht mehr nehmen. Seine Regie- und Autorenkarriere im Kino, die in den 1960er Jahren im Umfeld der Münchner Schule (Rudolf Thome, Max Zihlmann und Konsorten) begann und in den 80ern ihren Höhepunkt erlebte, fand zu Beginn dieses Jahrtausends ihr Ende. Zwischendurch war er ein vielgelesener Kritiker; nun dreht er am laufenden Band TV-Dokumentationen, die sich meist mit Glanz und Abglanz des Kinos beschäftigen und oft sehr schön sind. Es ist nicht auszuschließen, dass er alte Rechnungen begleichen will. Namen und Filmtitel nennt er nicht. Die „bewährten Produzentenversager“, gegen die er wettert, werden sich wohl ertappt fühlen. Im Gegensatz zu Dietrich Brüggemann, dessen rüde Polemik gegen die Berliner Schule während der letztjährigen Berlinale mittelhohe Wellen schlug, muss er sich wohl nicht mehr profilieren. Er liefert Innenansichten des deutschen Filmgeschäfts mit dem bekümmerten Blick des Außenseiters. Insgeheim spricht er bestimmt vielen Filmemachern aus der Seele, die jedoch ihre Stimme nicht zu erheben wagen, weil sie am deutschen Fördertropf hängen.

Sein Befund überrascht nicht: Es entstehen zu viele und zu unerhebliche Filme, die überdies am Markt vorbei produziert werden. Wie sehr es ihnen an internationaler Ausstrahlung und Festivalpräsenz mangelt, bestätigen die Meldungen der letzten Tage. Mit Ausnahme von Fatih Akins „The Cut“ hat es keiner der schon von Cannes abgelehnten Filme nach Venedig geschafft; Christian Petzold versucht mit „Phoenix“ sein Glück in Toronto, was unter Umständen keine dumme Idee ist, da der sich anscheinend stark an Elementen des Film noir orientiert und somit gleich schon den anglo-amerikanischen Markt in den Blick nimmt.

Das hiesige Fördersystem beschreibt Schmidt als ein Narrenparadies, in dem es allen zu gut geht. Das werden Regisseure wie Ulrich Köhler, die letzthin keine Subventionen für ihre Projekte bekamen, anders sehen. Schmidts Schilderung dieses saturierten Biotops scheint dennoch stimmig. Projekte würden allein auf das Wohlwollen der Fördergremien und Fernsehredakteure abgestimmt und es würde kein Gedanke an ein mögliches Publikum verschwendet. So entstünden bemühte Konsensprodukte, die nichts riskieren wollen: eine Zensur zum Mittelmaß. Deren Auswirkungen entdeckt er schon beim Nachwuchs, der bereits eine spießbürgerliche Schere im Kopf hat und dem er darüber hinaus eine lethargische Erbenmentalität unterstellt.

Ganz so trostlos muss es nicht sein. Aber die bürokratischen Filter, durch die Drehbücher gehen, wirken mächtig. In den TV-Redaktionen und regionalen sowie bundesweiten Fördergremien sitzen Leute, die auf ihren hochdotierten Posten einen enormen Legitimationsdruck spüren und weitergeben. Welch törichte Blüten das Diktat eines gesellschaftlichen Konsenses treiben kann, demonstriert das Regelwerk einer positiven Diskriminierung, das die britische Filmförderung ab September umsetzen will (http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article130073639/Die-Sache-hat-drei-Haken.html.).

Schmidt träumt demgegenüber von einem wilderen, einem entsicherten Kino. Er formuliert eine Utopie, gegen die allerorten enorme Verharrungskräfte stehen. Sein Verbesserungsvorschlag ist tollkühn: Warum drückt man einem jungen Filmemacher nicht einfach 2 Millionen Euro in die Hand und schaut dann, was in ein, zwei Jahren dabei herauskommt? Warum nicht einmal ganz auf die Kontrollmechanismen verzichten, um kreativen Wildwuchs zu fördern? Schmidt plädiert dafür, das Mäzenatentum nicht mehr als lähmendes System zu betreiben, sondern mit unbedingter Spendierlaune. Ich muss sagen, seiner Argumentation fehlt es nicht an einer gewissen dandyhaften Eleganz.

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