Lachen und Lernen

Laurel & Hardy

Vor einigen Tagen besuchte ich eine Veranstaltung, bei der mich das Publikum mehr interessierte als das, was ihm an diesem Abend geboten wurde. Den Termin hatte ich mir schon lange in meinem Kalender notiert: In der Berliner "Urania" wollte ich einen Vortrag zum Thema "Laurel & Hardy und die Kunst der Zerstörung" hören. Unter dem Motto "Lachen mit Stan und Ollie" hatte offenbar schon im Frühjahr eine ähnliche Veranstaltung beträchtlichen Erfolg.

Wer schaut sich heute im Kino noch Filme mit dem Komiker-Duo an? Tut er es aus Neugier oder Nostalgie? Wie viele unter den Kinogängern haben sie noch als Dick und Doof kennengelernt, vielleicht sogar einige ihre Filme bei der Erstaufführung gesehen? Mit anderen Worten: Würde in den Reihen ein Meer grauer Haare zu sehen sein? Meine demographische Neugierde war groß. Auf den ersten Blick ergab sich kein eindeutiges Bild. In der Schlange vor der Kasse stand beispielsweise ein Vater, der seine zwei Söhne mitgebracht hatte, die dank ihres Studentenausweises einen ermäßigten Eintrittspreis zahlten. Eine präzise Erhebung wurde auch dadurch erschwert, dass einige Besucher sich im falschen Saal befanden und eigentlich einen Vortrag über Kapitalismus und Zukunft hören wollten, der gleichzeitig stattfand. Allerdings fiel mir auf, wie viele Besucher, gewissermaßen als Hommage, zu zweit kamen. Insgesamt war das Publikum gemischt, das Durchschnittsalter dürfte indes über 50 gelegen haben. Der gut gefüllte Saal war tatsächlich ein Indiz für die vielleicht nicht ungebrochene, aber doch bemerkenswerte Popularität der beiden Komiker. Mit ihnen lassen sich anscheinend noch Filmbücher verkaufen. Norbert Aping etwa hat eine ganze Reihe von Titeln zu ihnen veröffentlicht.

Der war leider nicht der Vortragende an diesem Abend, sondern Christain Blees, der vor zwei Jahrzehnten das erste deutschsprachige Buch über sie geschrieben hat, das vier Auflagen verzeichnete. Ich wünschte, er hätte den wackeren Besuchern (und mir natürlich auch, schließlich hatte ich 8 Euro berappt) einen lohnenderen Abend beschert. Blees' Name war mir entfernt bekannt, ich wusste nur nicht, wodurch. Eine Recherche im Internet brachte heraus, dass er vor allem Rundfunkautor ist, in einem Journalistenbüro arbeitet und seinen Beruf als Dienstleistung versteht: Er stellt sich als Autor vor, der Beiträge zu unterschiedlichsten Themen liefern und garantieren könne, jeden Abgabetermin einzuhalten. Letzteres beeindruckte mich sehr. Ich hoffe, dass das keiner meiner Redakteure mitbekommt, die es sich fortan vielleicht zweimal überlegen könnten, ob sie weiterhin einen so chronischen Spätablieferer wie mich beschäftigen wollen.

Als Vortragendem gebrach es Blees indes an Charisma. Er spulte ein routiniertes Programm ab, von dem sich zwar sagen lässt, dass es den Anspruch der Urania an Allgemeinverständlichkeit erfüllt. Viel Neues war aus seinem Munde nicht zu erfahren, immerhin hatte er dem Publikum eingangs versprochen, es nicht "vollzuquatschen". Er brachte ein paar Anekdoten und Hintergrundinformationen zur Kenntnis. Als er mit einem Standbild vorführte, dass Laurel und Hardy bei einigen Stunts gedoubelt wurden, ging ein erstauntes Raunen durch das Publikum. Dass sein Vortrag kein Pointenwunder war, ist verzeihlich. Dass jedoch kein Gedanke über die Beschreibung dessen, was sodann zu sehen sein sollte hinauswies, war läppisch. Seine einzige Theses bestand darin, dass die Zerstörung bei anderen Stummfilmkomikern meist nur ein flinker Gag, bei Laurel & Hardy hingegen ein ausgedehnter Prozess ist. Der slow burn, den sie perfektionierten, ist also auch ein strukturierendes Element ihrer Filme. Blees belegte dies an drei Beispielen, in denen das Objekt der Zerstörung variiert, in denen jedoch keine dramaturgische Entwicklung zu erkennen war. Meine Gedanken vagabundierten, während ich zuhörte. Ich erinnerte mich an einen tollen Abend, bei dem der Komiker Pierre Étaix zusammen mit seinem Autor Jean-Claude Carrière über das Duo fachsimpelte. Laurel, befand Carrière, wirke immer ein wenig wie ein Außerirdischer, der die Naturgesetze außer Kraft setzen kann. Nicht, dass ich mir gewünscht hätte, Blees würde philosophische Schwergewichte wie Bergson aufbieten. Aber ein wenig mehr Durchdringung des Gegenstandes hätte man schon in einer Bildungseinrichtung wie der Urania erwarten dürfen. Die drei Kurzfilme, die er vorführte, waren in der Tat sehr ulkig. Seine Bemühungen wurden am Ende mit höflichem Applaus bedacht.

Ob das Publikum sich einen größeren Ertrag erhofft hatte, kann ich nicht sagen. Es hatte sich immerhin die Mühe gemacht, den Abend mal nicht vor dem Fernseher (wo Filme von Laurel und Hardy übrigens heutzutage allenfalls auf Kultursendern wie 3SAT und arte laufen) zu verbringen. Nach meiner eigenen Erfahrung spricht Stummfilmkomik ein älteres Publikum durchaus zuverlässig an. Ein, zwei Mal konnte ich meinen Vater bewegen, mit mir einen Lubitschfilm mit Orchesterbegleitung anzuschauen ("Der Hauptdarsteller trägt ja ein Menjou-Bärtchen!" - "Ja, weil es Adolphe Menjou ist!"), bei dem er sich leidlich amüsierte. Beim Herausgehen aus dem Kinosaal der Urania bemerkte ich, dass einige Besucher das abendliche Vergnügen erheblicher Gebrechlichkeit abgetrotzt hatten: Vor mir sah ich ein älteres Paar, das mit dem Rollator auf den Fahrstuhl zusteuerte. Sie gehörten schon lange nicht mehr zum Marktsegment der best ager, um das sich Produzenten und Verleiher heute verstärkt bemühen. Für sie hält das Kinoproramm kaum noch Angebote bereit. An einem Ort wie der Urania dürfen sie sich noch als Teil einer kulturinteressierten Öffentlichkeit fühlen. Ich empfand große Bewunderung dafür, dass sie solche Mühen auf sich genommen hatten. Sie erschienen mir, verzeihen Sie das große Wort, heroisch. Hoffentlich haben sie sich für sie gelohnt.

Gestern musste ich noch einmal an dieses rüstige Paar denken. Als ich aus einer Einkaufspassage kam, stand am Ausgang eine ältere Dame, die mit einer Büchse für die Berliner Aids-Hilfe Spenden sammelte. Ihre Hände zitterten, was gewiss nicht nur an der Novemberkälte lag. Weshalb war sie dort? Engagierte sie sich, weil sie einen Verlust erlitten hat, vielleicht ein Kind an die furchtbare Krankheit verloren hat? Oder aus Altruismus? Wie lange hielt sie schon aus? Musste sie das Gefühl haben, auf verlorenem Posten zu stehen? Ich schäme mich, dass ich nur die letzten Münzen aus meiner Geldbörse für sie zusammenklaubte. Nicht wegen des guten Zwecks; das ließe sich mit einer Überweisung erledigen. Dennoch bot sie mir eine Schleife an, die ich morgen tragen kann. Ich schäme mich, weil ich ihrem Einsatz nicht genügend Respekt erwies, ihrem Ausharren in der Kälte, dem Zittern ihrer Hände, ihrer Geschichte, die ich nicht kenne.

 
 

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