Der Standortfaktor

Ausstellungen verändern sich, wenn sie auf Reisen gehen. Sie müssen sich auf unterschiedliche Räumlichkeiten und Mentalitäten einrichten. Mitunter sammeln sie unterwegs Erfahrungen, lernen hinzu. Aber im Gegensatz zu menschlichen Reisenden bleibt ihnen am neuen Ort keine Zeit, um sich zu akklimatisieren.

Der Schau "Pasolini – Roma" weht in Berlin ein anderer Wind entgegen als auf ihrer Etappe in der Pariser Cinémathèque, wo ich sie im letzten Winter sah. Sie ist als Kooperation mehrerer Museen entstanden: Vor Paris war sie in Barcelona zu sehen, danach in Rom. Ihre Kuratoren stammen aus Spanien, Frankreich und Italien; ein Deutscher war an der Konzeption nicht beteiligt. Nun ist sie bis zum 5. Januar 2015 im Martin Gropius-Bau zu sehen. Während sie in der Cinémathèque francaise die Hauptrolle spielte, muss sie in Berlin neben weiteren Ausstellungen bestehen, die Aufsehen erregen: Walker Evans, die Farbfotografie vor dem Ersten Weltkrieg sowie, und das dürfte der größte Publikumsmagnet sein, die Wikinger. Begleitet wird die Pasolini-Schau von einer großen Retrospektive im Arsenal und einem Rahmenprogramm im Gropius-Bau, zu dem Lesungen und reizvoll besetze Gesprächsrunden gehören.

Die Reaktionen in der deutschen Presse waren nach der Eröffnung am letzten Donnerstag sehr gemischt. Wirklich begeistern mochte sich nur Harald Jähner in der "Berliner Zeitung", der ihren sprühenden Ideenreichtum, die beglückende Chronologie der Präsentation lobte. Der Rezensent von der Konkurrenz, dem "Tagesspiegel", war hingegen eher missgestimmt. Andreas Kilb meldete in der FAZ große Vorbehalte an: Die Schau verkenne Pasolinis heutige Bedeutung. Als guter Hegelianer sah er seinen Anspruch, den ganzen Pasolini in all seiner Widersprüchlichkeit erfasst zu finden, nicht erfüllt. Wie könnte und weshalb sollte die Ausstellung das? Sie konzentriert sich schließlich auf Pasolinis Verhältnis zu Rom.

Dazu kann man natürlich erst einmal feststellen: Ein Pasolini, der alle Welt zufrieden stellt, wäre keine gute Nachricht. Allerdings vermute ich, dass die zwiegespaltene deutsche Rezeption, abgesehen von der strittigen Qualität der Schau, bezeichnende Gründe haben dürfte. Einerseits herrschte in den letzten Jahren in Berlin kein wirklicher Mangel an Pasolini-Ausstellungen. Im Herbst 2009 übernahm das Literaturhaus eine Schau aus Zürich und vor zwei Jahren – 2012 wäre er 90 geworden - feierte ihn das Schwule Museum mit einer Hommage. Vielen ist auch noch die große Ausstellung der Akademie der Künste von 1994 in guter Erinnerung. Allerdings ist Pasolini von deutschen Intellektuellen stets auf besonders intensive Weise rezipiert worden. Während die Pariser Kritiken sich durch eine vergleichsweise unbefangene, wenngleich keineswegs arglose Schaulust und die obligatorische Einordnung Pasolinis in politische, gesellschaftliche und künstlerische Kontexte auszeichneten, herrscht hier zu Lande ein anderer Grad der Vereinnahmung, vor allem des Schriftstellers Pasolini. Es wäre interessant zu erfahren, wie die Schau in Spanien und Italien aufgenommen wurde.

Nachdem ich jetzt im Gropius-Bau war, muss ich allerdings sagen, dass ich dort eine andere Ausstellung gesehen habe als in Paris. Das Aufgebot der Exponate unterscheidet sich nicht (abgesehen von der kläglichen Beifügung einiger Fotos, die Pasolini auf der Berlinale zeigen und deren Entbehrlichkeit die verschämte Platzierung am Rand Rechnung trägt), auch szenographische Elemente sind erhalten geblieben, etwa der Blick durch ein geöffnetes Fenster auf eine Szene aus Accatone, deren Dreharbeiten Anna Magnani selbstkritisch schildert. Ob das Bildformat der Ausschnitte aus Salò auch in Paris derart gestaucht war, möchte ich hingegen bezweifeln,.

Inhaltlich sehe ich keinen Anlass zu revidieren, was ich in der Januar-Ausgabe von epd Film geschrieben habe. Auch in Berlin ist das leidenschaftlich zerrissene Verhältnis Pasolini zu der Stadt am Tiber zu spüren, lässt sich das Wechselspiel von Verschmelzung und Ablehnung nachvollziehen. Die Radikalität bleibt erhalten, mit der er ihre Topographie filmisch neu begründete, aus ihr etwas machte, das es zuvor im Kino nicht gab. Mein Bild von Pasolini änderte sich in Berlin aber meine Wahrnehmung Roms zuweilen schon: Die Ansichten des während des Faschismus' gebauten Stadtteils EUR waren mir aus Paris nicht so präsent.

Der Berliner Standort bietet der Schau mehr Fläche. Sie kann verschwenderisch mit dem Raum umgehen. In Paris herrschte demgegenüber fast drangvolle Enge. Den Sälen des Gropius-Bau eignet eine Monumentalität, die nicht allen Exponaten bekommt. Der Prüfstand ist anders, wenn sie von so viel weißer Wand umgeben sind. Dadurch gewinnen sie an Gewicht. Oder ihre Aura verringert sich, weil sie ihrem Kontext entrissen wurden und überdies gegen den Überschuss an Ambiente anspielen müssen. Hans Helmut Prinzler, der die Pariser Variante nicht besonders mochte, schreibt auf seiner Website, in Berlin sei die Präsentation strukturierter und wirkungsvoller. Dem kann ich nur bedingt zustimmen. In Paris wirkte die Ausstellung intimer. Was ist Pasolini angemessener? Das ist als eine offene Frage zu verstehen. Denn Pasolinis Rom lohnt auch in Berlin den Besuch.

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