arte-Mediathek: »Borgen – Macht und Ruhm«

»Borgen – Macht und Ruhm« (Serie, 2022). © Mike Kollöffel

© Mike Kollöffel

In gefährlichen Fahrwassern

Die deutsche Politik hat die dänische Fiktion eingeholt. In der jetzigen Regierung müssen unter einem SPD-Kanzler Vertreter von FDP und Grünen zu Kompromissen finden und dabei immer wieder eigene Positionen aufweichen oder preisgeben. »Das ist Politik«, sagt Birgitte Nyborg einmal in einer ähnlichen Situation in der TV-Serie »Borgen«. Zu Beginn der ersten Staffel erzielt Nyborg überraschend hohe Wahlgewinne und wird berufen, als Premierministerin einer Koalitionsregierung vorzustehen. Neben Nyborgs Moderaten buhlen sechs weitere Parteien um Einfluss.

Die mit großen Hoffnungen ins Amt gestartete Nyborg muss sehr schnell lernen, Zugeständnisse zu machen. Auch solche, die der eigenen Haltung widersprechen. Das erfordert eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Partei- und Regierungsbeschlüsse müssen vermittelt werden, einen positiven Dreh bekommen. Auf einer zweiten Erzählebene reflektiert das Autorenteam um Tobias Lindholm und Adam Price das Politgeschehen aus der journalistischen Perspektive. Schauplatz ist die Nachrichtenredaktion des Senders TV 1. Auch hier werden gesellschaftsrelevante Motive, etwa Aufgaben und Werte des Journalismus, über einschlägig eingestellte Figuren angesprochen.

Der weitere Werdegang Birgitte Nyborgs und anderer Figuren füllt bislang drei Staffeln, die vom dänischen Fernsehen DR produziert wurden. In der vierten, nun mit Netflix als weiterem Financier, ist Nyborg Außenministerin im Kabinett Signe Kraghs von der Arbeiterpartei. Die Frauen sind sich abhold, müssen aber kooperieren.

Nyborg ist geschieden, die Kinder sind aus dem Haus, sie lebt allein. Und einsam, wie die Regisseure mehrfach bildlich vermitteln. Inzwischen mit den Mechanismen des Politbetriebs bestens vertraut, taktiert sie gewieft, um im Amt zu bleiben. Nicht nur um weiterhin Politik aktiv betreiben zu können. In einem Gespräch mit ihrem Mentor Bent Sejrø gibt es einen Moment der Selbsterkenntnis: »Wenn ich nicht die Frau bin, die neunzehn Stunden am Tag als Außenministerin schuftet, wer bin ich dann?«

Eine aktuelle Krise lässt ihr keine Zeit, über diese Frage nachzudenken. An Grönlands Küste wird Öl gefunden. Brisant, denn auf Grönland gibt es Bestrebungen, sich von Dänemark zu lösen. Der Zwist verschärft sich über der Frage, wie die Gewinne aus der Ölförderung geteilt werden sollen. Grönland ist zugleich von geopolitischem Interesse. Nyborg muss mit Russland, den USA, China verhandeln. Das erfordert Fingerspitzengefühl, welches ihr im Umgang mit Mitarbeitern abhandengekommen ist. Sie kann laut und barsch werden. Eine Veränderung gegenüber der Nyborg früherer Staffeln.

Auch im vierten Zyklus, jetzt mit dem Zusatz »Macht und Ruhm«, gelingt es dem Autorenteam, politisches Geschehen realitätsnah und spannend umzusetzen. Jedoch fällt die Personenzeichnung nicht durchgängig kohärent aus. Die Darstellung der neuen Premierministerin nähert sich mitunter der Karikatur. Beim Personal der TV-1-Redaktion gibt es ein paar Pinselstriche zu viel, vor allem als sich die Situation zuspitzt und die zur Nachrichtenchefin ernannte dünnhäutige Katrine Fønsmark heftige Anfeindungen erfährt.

Seit der Premiere, in Deutschland 2012 bei Arte, machte »Borgen« Furore und ist Gegenstand auch wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei bleibt meist außer Acht, dass mit »Mevrouw de minister« 2002 in den Niederlanden ein inhaltlich verwandter Dreiteiler vorausging. Hier wurde die Nachwuchspolitikerin Dirkje Holman nicht Staatschefin, aber Kabinettsmitglied und musste, ähnlich wie später Nyborg, im Geflecht der Interessen und Intrigen politische Anliegen opfern, Ideale gegen das Machbare aufwiegen, woraufhin sie das Vertrauen ihrer Partei verlor.

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