Joyn: »Strange Angel«

»Strange Angel« (Serie, 2018-2019). © CBS All Access

»Strange Angel« (Serie, 2018-2019). © CBS All Access

Mehr Rauch als Wumms

»It's not rocket science« heißt es auf gut Amerikanisch, wenn etwas doch gar nicht so kompliziert, also keine Hexerei ist. In der von Mark Heyman entwickelten Retro-Serie »Strange Angel« verbinden sich gleich beide Elemente zur nostalgisch-knalligen Pulp Fiction, die Raketenwissenschaft und der Traum von der Reise ins Weltall mit den okkultistischen Umtrieben einer zunehmend neurotischen Gesellschaft am Rande des Zweiten Weltkriegs. Protagonist der 2018/19 entstandenen und nun erstmals in Deutschland zu sehenden zwei Staffeln ist Jack Parsons (Jack Reynor), einer der Gründerväter der US-Raumfahrt, auch wenn es bisweilen kaum zu glauben ist, dass dieser schillernde Hitzkopf tatsächlich existiert hat.

Tagsüber tüftelt und forscht der Raketeningenieur und Chemiker mit ungebändigtem Pioniergeist und der Hilfe seines Studienfreundes Richard (Peter Mark Kendall) Ende der 1930er im kalifornischen Pasadena an der technischen Umsetzung seiner Astronautikpläne. Und nachts taucht er in die Lehren Aleister Crowleys (Angus Macfayden) ein. Dessen Okkultistensekte mit ihren sexuell-esoterischen Ritualen lernt Parsons über den merkwürdigen neuen Nachbarn Ernest (Rupert Friend) kennen, der gerade mit seinem Motorrad und einer Hausziege eingezogen ist und ihm durch kleine Winke zu verstehen gibt, dass es Mittel und Wege gibt, sich von Konventionen aller Art zu befreien. Für Parsons, der für sein Ziel jede Grenze auslotet und damit nicht zuletzt seine etwas freudlose Ehe mit Susan (Bella Heathcote) aufs Spiel setzt, stellen seine beiden Obsessionen keinen Widerspruch dar. Im Hintergrund droht derweil eine weitaus realere Gefahr als Crowleys Black Magic und seine düsteren Glücksversprechen jenseits puritanischer Sexualmoral. In Europa wütet Hitler und zwingt bald die halbe Welt in den Krieg. Doch noch ist das alles nur ein apokalyptisches Raunen im Radio.

»Strange Angel« macht keinen Hehl daraus, audiovisueller Groschenroman zu sein. Das eigentliche Problem an der Serie ist, dass sie ähnlich wie Parsons Raketen lange nicht abhebt und mehr Rauch als Wumms entwickelt. Bei aller explosiver Manie und den oft unglaublichen Begebenheiten lässt sie sich nervenzehrend lange Zeit, um von dessen glücklosen Versuchen zu erzählen, einen Flugkörper zu konstruieren. Auch als Studie männlicher Selbstüberschätzung taugt sie nur bedingt, weil sie dann doch zu sehr an der Oberfläche bleibt. Das ist umso bedauerlicher und erstaunlicher, als die Serie mit Jack Reynor (»Midsommar«) und Rupert Friend (»Homeland«) durchaus hochkarätig besetzt ist. Doch auch wenn es »Strange Angel« nicht gelingt, einen wirklichen Binge-Sog zu entwickeln, lohnt sich das Durchhalten der ersten Handvoll Episoden allemal. Dann inszenieren Genre-Spezialisten wie Ben Wheatley (»Sightseers«) oder Matt Shakman (»WandaVision«) einzelne Folgen und beweisen, dass Tempo und Spannung keine Wissenschaft, aber doch eine Kunst sind.

OV-Trailer

Meinung zum Thema

Kommentare

Zitat "In Europa wütet Hitler und zwingt bald die halbe Welt in den Krieg."
So kann man die Zeit ab 1939 für einen Kleinkinder-Comic auch zusammenfassen. Dann braucht man keine stadiongroße Bibliotheken, welche versuchen nur alleine die hochkomplexe Vorgeschichte zum WK II zu erkären.

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt