Buch-Tipp: Jonathan Coe – Mr. Wilder & Ich

Hollywood im Umbruch

Ist er »das am meisten unterschätzte von Billy Wilders Meisterwerken« (wie es in der Ankündigung des diesjährigen Filmfestivals von Bologna hieß)? Die Rede ist von seinem 1977 gedrehten Film »Fedora«, sein vorletzter Film überhaupt, der bei seiner Premiere auf eher verhaltene Zustimmung stieß und drei Jahrzehnte später freundlichere Worte fand, so betitelte ihn eine abendfüllende Dokumentation, die Robert Fischer zu der Blu-ray-Erstveröffentlichung 2014 beisteuerte, als Wilders »Schwanengesang«. »Fedora« ist kein makelloser Film, aber doch einer, der einen zweiten Blick verdient hat, einer, dessen Ablehnung bei der Premiere sicherlich auch damit zu tun hatte, dass er mit deutschen Abschreibungsgeldern entstand, wie übrigens auch Robert Aldrichs »Twilight's Last Gleaming«, beide in den Münchner Bavaria Ateliers gedreht.

Die Dreharbeiten zu »Fedora« nimmt der britische Romancier Jonathan.Coe als Ausgangspunkt seines neuen Romans, der die Erinnerung, die »Fedora« in Bezug auf das klassische Hollywood markiert, zum zentralen Motor seiner Erzählung macht und sie dabei verdoppelt: als Erinnerung der Protagonistin Calista, in der Rahmenhandlung 2013 eine arrivierte Filmkomponisten und Mutter zweier Töchter, an ihre Arbeit für Billy Wilder bei diesem Film, aber auch als Erinnerung Wilders an seine europäischen Wurzeln: von der Zeit mit Kollegen im Romanischen Cafe in Berlin Anfang der dreißiger Jahre, die Emigration 1933 nach Paris und dann in die USA, schließlich die Rückkehr als amerikanischer Filmoffizier 1945, der mit einem Dokumentarfilm über die Konzentrationslager, »Die Todesmühlen«, die Deutschen aufrütteln will. Wilders Perspektive verdichtet Coe im Mittelteil des Buches zu einer fünfzigseitigen Passage, geschrieben wie ein Drehbuch, und zeigt damit eine andere Seite Wilders, die dieser selber oft hinter zynischen Bemerkungen versteckte. Das ist der eigentliche Kern des Romans, für den Coe ein umfangreiches Quellenstudium betrieben hat, im Nachwort listet er akribisch all seine Quellen auf.

»Mr. Wilder & ich« ist aber auch eine Erzählung über die Leidenschaft des Filmemachens und des Geschichtenerzählens, die dritte Hauptfigur ist Wilders langjähriger Ko-Autor I.A.L. Diamond, mit dem sich Calista bei den Dreharbeiten schneller anfreundet als mit Wilder. Dem kommt sie erst näher beim letzten Teil der Dreharbeiten in Frankreich, als der Fahrer sie zu einer Brie-Verkostung bei seinem Schwager einlädt und Wilder diesen »Moment vollkommenen Glücks« so sehr in die Länge dehnt, dass er (angeblich) zum ersten Mal in seinem Leben zu spät zum Drehort kommt. 

In diese Leidenschaft für das Filmemachen mischt sich aber auch immer wieder das Alter von Wilder und I.A.L. Diamond, die zunehmend den Gegenwind spüren, der vielen Veteranen in ihren späten Jahren entgegenschlägt. In Hollywood sind jetzt »die Jungs mit den Bärten« am Ruder (wie Wilder es selber einmal sarkastisch formuliert hat) und so lehnen die Studios, für die Wilder und Diamond in der Vergangenheit Kassenerfolge wie »Manche mögens heiß« und »Das Appartement« erschaffen haben, die Finanzierung von »Fedora« ab, da hilft es auch nicht, dass die literarische Vorlage ein Erfolgsroman ist (verfasst von dem einstigen Schauspieler Tom Tryon). Die einzige Möglichkeit, den Film doch noch zu drehen, sind die Abschreibungsgelder aus Deutschland und damit auch Finanziers, die von Film keine Ahnung haben. Verständlicherweise denken die Protagonisten des Buches ebenso wie dessen Leser dabei wehmütig an das alte Hollywood, als Schauspieler mit kleinen Gesten große Emotionen erzeugen konnten. 

Als Leser, der den Filmen Billy Wilders zuerst im Fernsehen begegnete, wo die Klassiker regelmäßig zu sehen waren und man in den Dritten Programmen Raritäten wie »Five Graves to Cairo«, »A Foreign Affair« oder auch »Kaiserwalzer« entdecken konnte, fühlt man sich den Professionals Wilder und Diamond nah – und hat entsprechende Schwierigkeiten mit der Ich-Erzählerin: Calista begegnet den beiden älteren Herren (und ihren Ehefrauen) zum ersten Mal 1976 bei einer Rundreise durch die USA, als eine Reisebekanntschaft sie ‚zu einem Bekannten ihres Vaters' in dessen Stammlokal in Los Angeles mitschleppt. Die 21jährige Griechin hat zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas von Mr. Wilder gehört, geschweige denn gesehen, und versucht das vor dem zweiten Zusammentreffen dadurch wett zu machen, dass sie die Bewertungen seiner Filme aus »Halliwells Filmguide« auswendig lernt und rezitiert. Kein guter Start, dennoch erinnert sich Wilder an sie, als er im darauffolgenden Jahr Szenen von »Fedora« in Griechenland dreht und dafür Calista als Dolmetscherin engagiert. Schließlich bleibt sie als Mädchen für alles und Betreuerin von I.A.L. Diamond den ganzen Film über.

Wilder, der hier laut aufstöhnt, als er bei der ersten Begegnung Calista fragt, welchen Film sie zuletzt gesehen habe und die Antwort »Der weiße Hai« lautet, hat später übrigens seinen Frieden mit dem Regisseur dieses Films gemacht: als Steven Spielberg »Schindlers Liste« in die Kinos brachte (um dessen Verfilmungsrechte Wilder selber sich beworben hatte), schickte er ihm einen anerkennenden Brief.

 

Jonathan Coe: Mr. Wilder & ich. Roman. Folio Verlag, Wien, Bozen 2021, 291 S., 22 €.

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