DVD-Tipp: "Jesus - Der Film"

Experimentelles Gesamtkunstwerk

Im Advent 1984 hatte der Filmemacher Michael Brynntrup die Erleuchtung zu seinem ersten langen Film. Dabei war das Projekt – ein Super-8-Monumentalstück über das Neue Testament – schon ein bisschen größenwahnsinnig für den frisch aus der katholischen Provinz eingereisten jungen Neuberliner, der bisher nur (allerdings reichlich ausgetüftelte) Kurzfilme gedreht hatte. Zusätzlich spielte er dabei selbst noch ein bisschen Gott – oder zumindest Strippenzieher. Denn der »Jesusfilm« war geplant als ausladendes Omnibusprojekt mit anderen Filmemachern oder filmaffinen Freunden aus der damaligen Berliner Punk-, Queer- und Hausbesetzerszene von Jörg Buttgereit über Stiletto bis zur Anarchistischen Gummi-Zelle.

Brynntrup gab jedem bis zu zehn Kassetten Film und koordinierte die Arbeit per Telefon und sogenannten »Jesusbriefen«. Zusätzliche Kontinuität gab es auch, weil Brynntrup die Rolle des Jesus – von Krippe bis Dornenkrone – fast durchgehend mit sich selbst besetzte. Als der Film 1986 im Forum der Berlinale uraufgeführt wurde, waren in gut zwei Stunden 35 Episoden von 22 Regieführenden versammelt – und ein stilistisches Spektrum zwischen echtem Pathos und blasphemischem Humor.

Dabei war das Jesusprojekt in seiner multimedialen Vernetzung auch frühes Beispiel für Arbeitsweisen, die heute als digitale Techniken selbstverständlich sind. Und ein akribisch geführtes Arbeitsjournal liest sich wie ein Blog – liegt aber ganz analog als dickes Buch im Verlag Vorwerk8 vor. »Jesus – Der Film – Das Buch« amalgiert Briefe und »Ta(ge)bu(ch)« mit anderen Dokumenten zu einem Gesamtkunstwerk, das erhellende und erheiternde Einblicke in Mühen und Glücksmomente der angeleiteten Kollektivanstrengung enthält. Und mag die Rezeption des Films heute unter dem Verlust religiöser Verbindlichkeiten leiden, so werden die hier auf Papier versammelten Dokumente aus dem prallen Leben einer mittlerweile schon historischen Subkultur vielleicht erst jetzt in ihrem ganzen Reichtum erkennbar. Dabei ist das Buch auch autonom ohne Kenntnis des Film verständlich – und unterhaltsam. Ergänzt wird der zweisprachige Band durch viele Zeichnungen und Fotos. 

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