Warren Beatty: »Die wollten, dass ich Gouverneur werde«

Warren Beatty in »Regeln spielen keine Rolle« (2016). © 20th Century Fox

Warren Beatty in »Regeln spielen keine Rolle« (2016). © 20th Century Fox

Warren Beatty, Oscarpreisträger und Hollywoodlinker, hat lange nichts von sich hören lassen. Jetzt kommt er mal wieder in einer Doppelrolle ins Kino – unter seiner eigenen Regie spielt er den Unternehmer und Produzenten Howard Hughes

»I wasn't trying to be funny«, erklärte er bei der diesjährigen Oscarverleihung, nachdem endlich geklärt war, dass »Moonlight« den Preis für den besten Film gewonnen hatte. Warren Beatty hatte den falschen Umschlag geöffnet und offensichtlich verwirrt an Faye Dunaway, seine Partnerin aus »Bonnie und Clyde«, weitergegeben.

Es ist ein bisschen tragisch, dass sich viele Zuschauer ausgerechnet anlässlich des größten »Oscar-Unfalls« aller Zeiten wieder an Warren Beatty erinnert haben. Sein letzter Leinwandauftritt in der gefloppten romantischen Komödie »Stadt, Land, Kuss« liegt fast 16 Jahre zurück – ­eine für Hollywood sehr, sehr lange Zeit. Allerdings ist Beatty auch schon mehr als fünf Jahrzehnte im Geschäft. Seit er an »Bonnie und Clyde« ein Vermögen verdiente, weil das Studio nicht so recht an den Kassenerfolg des Films glauben mochte und ihn deshalb am Einspiel mit einem hohen Prozentsatz beteiligte, hat er wiederholt in Personalunion als Darsteller, Regisseur, Produzent und gelegentlich Autor gearbeitet. Mit dem oscarprämierten Epos »Reds« über den kommunistischen Autor und Reporter John Reed oder der Politsatire »Bulworth« sind ihm dabei sehr eigenwillige, auch persönliche Filme gelungen. Sein neuer, »Regeln spielen keine Rolle«, führt ins amerikanische Entertainment-Business um die Wende zu den Sechzigern: Erzählt wird von einer Jungschauspielerin, die von dem Industriellen und Filmproduzenten Howard Hughes unter Vertrag genommen wird und sich in ihren Fahrer, einen jungen Methodisten, verliebt. Es entwickelt sich eine Romanze, die der Hauspolitik von Hughes zuwiderläuft. Beatty führte nicht nur Regie, sondern spielt auch den legendären Unternehmer.

Mr. Beatty, Sie sind dieser Tage 80 geworden. In »Regeln spielen keine Rolle« sind Sie nach einer 15-jährigen Pause zum ersten Mal wieder auf der Leinwand zu sehen...

Ich habe vier Kinder zwischen 16 und 24, die halten mich ziemlich auf Trab. Ich bin ja ein später Vater, aber sehr glücklich in dieser Rolle – und als Ehemann von Annette Bening. Ebenso glücklich bin ich darüber, dass ich meinen allerersten Film mit Elia Kazan drehen durfte, 1961. »Fieber im Blut« war ein Erfolg, das gab mir eine Art von Freiheit, die nicht jeder hatte. Ich musste nicht mein Leben damit verbringen, einen Film nach dem nächsten zu drehen, sondern konnte einen Film machen, wenn ich wirklich Lust dazu hatte. So habe ich weniger gedreht als andere. Andererseits habe ich Filme über einen längeren Zeitraum gedreht als andere. Na ja, Clint Eastwood hat mehr gemacht, er ist sieben Jahre älter und begann sechs Jahre vor mir als Schauspieler. Ich könnte nicht so viele Filme machen wie er, denn es gibt noch so etwas wie das Leben – wenn Sie selbst Kinder haben, wissen Sie, wovon ich spreche.

Wie in »Regeln spielen keine Rolle« ging es in »Fieber im Blut« um das Problem eines jungen Liebespaars, verkörpert von ­Ihnen und Natalie Wood, zusammenzukommen.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mit diesem Film umherreiste, unter anderem nach Russland, wo es seinerzeit eine neue Welle gab mit Regisseuren wie Mikhail Kalatasov und Grigori Tschuchrai. Wir hatten ein sehr freundschaftliches Treffen, bei dem ein Russe meinte: »Wir mögen den Film sehr, aber was wir nicht verstehen: Warum schlafen sie nicht einfach miteinander?!«

Das ist auch für das junge Paar in »Regeln spielen keine Rolle« ein Problem. Das Mädchen kommt als Nachwuchsschauspielerin nach Hollywood aus der Provinz von Virginia, wo auch Sie geboren wurden.

Das ist nun einmal die Heimat der Southern Baptist Convention, der am besten organisierten religiösen Bewegung in den USA. Sagen Ihnen die Namen Pat Robertson und Jerry Falwell etwas? Ich wuchs in diesem Klima auf. Meine Eltern waren Akademiker, sie unterrichteten, wie schon ihre Eltern zuvor; sie waren keine großen Kirchgänger, aber trotzdem spürten wir das. So kam es dazu, dass »Regeln spielen keine Rolle« schließlich von den komischen, aber auch tragischen Konsequenzen erzählt, die Amerikas puritanisches Erbe hat, die Haltung in Bezug auf die Sexualität.

Interessanterweise erweist sich die junge Frau am Ende als die Stärkere. Während der junge Mann weiterhin in den Diensten von Howard Hughes bleibt, sagt sie sich von ihm los und zieht ihr Kind allein auf.

Da würde ich Ihnen widersprechen. Wie Aristoteles sagt, basiert ein großer Teil des Dramas auf einer Lüge. Sie lügt, was die Herkunft des Ringes anbelangt, und darüber, dass sie Sex mit Howard hatte. Am Ende des Films hat sie schließlich die Kraft, mit der Wahrheit herauszurücken – wenn auch auf symbolische Weise. Der junge Mann, der von ihr zurückgewiesen wurde, hat die Kraft, Hughes zu sagen, er würde tun, was er für richtig halte, und wenn ihm das nicht passe, würde er gehen. Ich finde also nicht, dass die Frau die Stärkere ist. Der junge Mann wurde von ihr belogen. Er lebt mit ihr, und als sie mit der Wahrheit herausrückt, hat er die Kraft, damit zu leben.

Ihren neuen Film hatten Sie lange Zeit geplant. Hat sich der Fokus erst im Lauf der Zeit verlagert, weg von Hughes auf das junge Paar?

Ich fand immer, dass die Reaktionen auf Howard Hughes genauso interessant waren wie Hughes selbst. Als ich sehr jung war, war ich interessiert an Hughes. Warum? Ich denke, es hatte mit dieser Freiheit zu tun, damit, dass er machen konnte, was er wollte. Das stand im Kontrast zu den Zwängen, denen andere Menschen unterlagen. Wer war der Glücklichere? Hughes hätte das von seinem Vater geerbte Geld – er starb, als Hughes 18 Jahre alt war – auf der Bank lassen können. Stattdessen entfaltete er zahlreiche Initiativen und wirtschaftliche Unternehmungen. Die »Howard Hughes Medical Foundation«, von der einige meinen, sie sei nur ein Steuervermeidungsmodell gewesen, war die größte Stiftung weltweit, jedenfalls bis Bill Gates auf den Plan trat. Ich könnte stundenlang über Howard Hughes reden, aber am Ende beschloss ich, dass nicht mehr er selbst das Thema des Films sein sollte, sondern die Wirkung, die er auf andere hatte – diese beiden jungen Leute, und eben auch die Wirkung, die sie aufeinander hatten, vielleicht auch die Wirkung, die sie wiederum auf ihn hatten. Ich kannte Kirk Kerkorian, ich kannte Jean Simmons, ich kannte Jean Peters, Jane Russell, Terry Moore, die alle engen Kontakt zu Hughes hatten. Sie sprachen alle positiv über ihn.

Sie haben ihn nie getroffen?

Nein, nie. Aber ich habe manchmal das Gefühl, ich hätte alle getroffen, die ihn überhaupt kannten. Und, wie gesagt, alle sprachen höchst positiv über ihn. Er mag verrückt gewesen sein, aber es war irgendwie eine selbst gewählte Verrücktheit. Ich denke, er repräsentierte etwas – mit dem ererbten Reichtum, dem Interesse am Fliegen und Filmemachen (und es gibt noch ein drittes Wort, das mit demselben Buchstaben beginnt). In Verbindung mit dem glamourösen Lebensstil zog das eine große Aufmerksamkeit auf sich. Ich habe den Eindruck, er lebte in einer Zeit, in der es noch möglich war, sich auf das Private zurückzuziehen. Da sehe ich Parallelen zwischen ihm und Greta Garbo. Das ist heute Vergangenheit. Ich glaube, ich wäre nicht in der Lage, einen Film über jemanden zu machen, den ich persönlich kannte. Wenn man einen Film macht, ist das Fiktion. Das war so bei Clyde Barrow – ich bin nicht wie Clyde Barrow. Als ich mich erstmals mit »Bonnie & Clyde« beschäftigte, dachte ich, Bob Dylan sei für die Rolle geeignet.

Haben Sie ihn darauf angesprochen?

Das habe ich nicht, denn ich kannte ihn nicht so gut und war mir auch nicht sicher, ob er es machen wollte. Ich dachte an Bob Dylan und an meine Schwester, Shirley MacLaine. Immer wenn ich einen eigenen Film vorbereite, denke ich an einen anderen Schauspieler, was es mir ermöglicht, freier zu sein. So hatte ich bei »Der Himmel kann warten« Muhammad Ali im Kopf, der ein Freund von mir war. Aber er konnte nicht aufhören zu boxen, irgendwie verständlich, schließlich bekam er neun Millionen Dollar pro Kampf. Also übernahm ich die Rolle selbst und änderte die Figur von einem Boxer zu einem Footballspieler, denn ich hatte selbst Football gespielt. Man könnte auch sagen, in jedem dieser Fälle siegte mein Narzissmus. Bei »Shampoo« und »Bugsy« habe ich allerdings nie an jemand anders für die Hauptrolle gedacht.

Manche werden in Ihrem Porträt von Howard Hughes auch ein Selbstporträt erkennen.

Zu den Arbeitstiteln von »Regeln spielen keine Rolle« gehörten »Geschichte ist Quatsch« und »Geschichte ist ein Haufen Lügen«. Ich war nicht besonders angetan von der Tatsache, zwanzig Lebensjahre auf zwanzig Monate zu verknappen. Alles, was wir in diesem Film von Howard Hughes sehen, wurde mir von jemandem erzählt – ich weiß natürlich nicht, ob es stimmt oder nicht. Das ist so wie mit den Büchern über mich selbst, sechzehn gibt es davon, aber ich habe nie mehr als die ersten 10 bis 15 Seiten gelesen. Ich frage mich dann immer: »Wovon, zum Teufel, ist hier die Rede?« Ich lese schon, was in der Presse über mich geschrieben wird, aber wenn jemand ein ganzes Buch über mich schreibt und nie mit mir gesprochen hat, dann frage ich mich wirklich: »Machen Sie Witze?«

Sie haben früher Auszeiten vom Filmemachen genommen und sich politisch engagiert.

Ja, in den siebziger Jahren, auch schon in den Sechzigern, für Bobby Kennedy und George McGovern und Gary Hart. Die Leute bei den Demokraten wollten damals sogar, dass ich als Gouverneur kandidiere.

Warum wollten Sie nicht?

Das kam mir immer vor wie eine Bewerbung für eine Kreuzigung – ich habe erlebt, was Freunde durchgemacht haben. Wenn Sie älter werden, erweitert sich Ihr Freundeskreis um Leute aus dem anderen Lager; ich habe heute viele Freunde, die Republikaner sind. Ronald Reagan war rechtslastig, aber wir waren befreundet, er lud Reds ins Weiße Haus ein. Er meinte damals, er könne sich heutzutage keinen Präsidenten im Weißen Haus vorstellen, der kein Schauspieler ist.

Das Ende des Films ist ziemlich bewegend, Howard Hughes allein im Bett, aber bei klarem Bewusstsein, wie man seiner Ansprache entnehmen kann: Das wirkt wie ein Abschied von Hollywood, ein Schwanengesang.

Manchmal habe ich den Eindruck, man weiß nie, was für einen Film man macht, das begreift man erst 10, 15 Jahre später. Also fragen Sie mich dann noch einmal.

Hughes galt als Kontrollfreak. Bei »Regeln spielen keine Rolle« sind Sie Darsteller, Regisseur, Autor und Produzent in Personalunion.

Filmemachen ist eine Frage der Zusammenarbeit. Als ich nach Hollywood kam, freundete ich mich an mit Leuten wie den Produzenten Sam Goldwyn, David O. Selznick, Darryl F. Zanuck, auch mit Regisseuren, die ihre Filme selbst produzierten wie George Stevens oder William Wyler. Was ich dabei begriff, war die Tatsache, dass ein Produzent Dinge in Gang setzen kann und dass er das letzte Wort hat. Denken Sie nur an »Vom Winde verweht«, wo neben dem nominellen Regisseur Victor Fleming noch mehrere andere beteiligt waren – am Ende war es der Film von David O. Selznick.

Ihre Schwester Shirley MacLaine ist ebenfalls Schauspielerin. Wie ist ihre professionelle Beziehung? Sie haben noch nie zusammengearbeitet. Bedauern Sie das manchmal?

Ein wenig. Ich liebe sie sehr, wir haben eine gute Beziehung, auch wenn ich einiges nicht verstehe. Ich würde gerne mit ihr arbeiten, das Problem ist nur: Sie ist die Ältere, aber dann müsste sie tun, was ich ihr sage? (lacht)

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