Radu Jude: Ratlos in der Pandemie

»Bad Luck Banging or Loony Porn« (2021). © Silviu Ghetie / Micro Film 2021

»Bad Luck Banging or Loony Porn« (2021). © Silviu Ghetie / Micro Film 2021

Von den Filmen der rumänischen Neuen Welle unterscheiden sich die von Radu Jude erheblich. Ihn beschäftigt vor allem, was in der Geschichte Rumäniens schiefgelaufen ist. Und das macht ihn wütend

Es gibt nur wenige Filmemacher in Europa, die so konsequent die jüngere Geschichte und die Gegenwart ihres Landes in den Blick genommen haben wie der rumänische Regisseur Radu Jude. Und wie kein anderer wechselt er beständig die Formate, da stehen Spielfilme neben Dokumentarfilmen und theaterhaften Inszenierungen, und selbst die Spielfilme sind mitunter getragen von einem schonungslosen dokumentarischen Blick. Den merkt man auch wieder in seinem neuesten Film »Bad Luck Banging or Loony Porn«, dessen Hauptfigur im ersten Drittel lange durch die Straßen Bukarests wandert. 

Für »Bad Luck Banging ...« hat Radu Jude, ziemlich überraschend, muss man sagen, den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Und seine Karriere ist mit den Berliner Filmfestspielen verbunden. Schon sein erster langer Spielfilm »The Happiest Girl in the World« lief 2009 dort, in der Sektion Forum, »Aferim!« war 2015 im Wettbewerb zu sehen, »Uppercase Print« dann 2020 wieder im Forum. Die Entdeckung einer neuen rumänischen Welle kann sich das Festival von Cannes auf seine Fahnen schreiben, mit den Filmen von Cristian Mungiu oder Cristi Puiu. Bei dessen satirischem Sozialdrama »Der Tod des Herrn Lazarescu« (2005) arbeitete Jude als Regieassistent. Aber sich selbst will er nicht als Protagonisten dieser Nouvelle Vague einordnen, wie er in unserem Interview sagt. Dazu ist er auch viel zu vielfältig und produktiv, im letzten jahr organisierte das Wiesbadener goEast-Filmfestival eine umfangreiche Hommage. 

Wie sein neuer Film hat auch Judes Debüt »The Happiest Girl in the World« eine mitunter fast grausame Komik. Der Film spielt an einem Tag im rumänischen Hochsommer, auf dem Universitätsplatz, einer der Schauplätze der rumänischen Revolution im Dezember 1989. Viel scheint von dieser Revolution nicht geblieben, ein hemmungsloser Kapitalismus hat das Ceausescu-Regime ersetzt. Die junge Delia vom Land hat einen Dacia gewonnen, muss aber dafür in einem Werbespot des Sponsors mitspielen, andauernd aufsagen, dass sie das glücklichste Mädchen der Welt ist und im Verlauf der unzähligen Proben literweise den Fruchtsaft des Veranstalters vor der Kamera in sich hinein stürzen. Und parallel dazu muss sich Delia noch mit ihren Eltern herumstreiten, die beschlossen haben, den Dacia zu verkaufen. 

»About my style?«, fragt Jude sich in einem kurzen Selbstporträt, das er letztes Jahr für den Sender arte und goEast drehte. »What can I say? I have none.« Oder er sagt, er sei wie Bukarests Architektur – und lässt die Kamera über einen sehr heterogenen Paltz schweifen. Und dass er nicht nur am Sichtbaren interessiert sei, sondern ebenso am Nichtsichtbaren. Das bedeutet in seinem Werk vor allem: den verschütteten und verleugneten Abgründen der rumänischen Geschichte nachzuspüren. Sein Film »Uppercase Print« (2020) legt einen Fall aus der Ceausescu-Ära 1981 zugrunde und basiert auf einem Theaterstück von Gianina Carbunario. Und diese Herkunft leugnet Radu Jude nicht, sondern er lässt Schauspieler aus den Ermittlungsprotokollen der Securitate rezitieren, die einen Graffitischreiber mit systemkritischen Losungen geschnappt haben. »Aferim!«, realisiert in großartigem Schwarzweiß, führt ins Rumänien des frühen 19. Jahrhunderts, wo ein Konstabler in der Walachei nach einem entlaufenen Roma sucht, die damals faktisch Sklaven waren. 

Den größten Raum in Judes Werk nimmt aber die Beschäftigung mit dem rumänischen Holocaust ein. »The Dead Nation« (2017) ist ein Fotofilm. Er zeigt den Output des Fotostudios von Costica Acsinte, einem Fotografen in einem kleinen Dorf. Familienszenen, Männer in Uniform – alles arrangierte Bilder, die offizielle Lesart der Geschichte. Aber die Tonebene liefert die Erinnerungen des jüdischen Arztes Emil Dorian, der von Antisemitismus und Ausgrenzung erzählt, ein faszinierendes und sehr erhellendes Experiment. »Exit of the Trains« ist mit seinen knapp drei Stunden ein sehr minimalistischer Dokumentarfilm über das Massaker von Iasi am 29. Juni 1941, als die rumänische Armee und Polizei unter Beteiligung der Wehrmacht und der Bevölkerung 13.000 Juden umbrachten, durch Erschießungen, Folterungen und die sogenannten Todeszüge, die luftdicht verschlossen waren und in denen die Insassen ohne Wasser aus der Stadt transportiert wurden. Fast alle starben. Jude zeigt über zwei Stunden erhaltene Fotos der Toten und lässt die Überlebenden im Off sprechen. Das ist mitunter schwer zu ertragen, aber Jude nimmt ihr Schicksal damit auch aus der Namenlosigkeit heraus. Jedes Opfer, soll das heißen, hat ein Recht darauf, dass man diese Untaten nicht vergisst. 

Von Ion Antonescu, dem Faschisten und Diktator Rumäniens in dieser Zeit, dem als Antibolschewist in den neunziger Jahren nochmal eine Sympathiewelle entgegenschlug, stammt der Satz: »Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen«. Jude hat unter diesem Titel ein Lehrstück gedreht: Erzählt wird, wie eine Regisseurin versucht, vor dem Militärmuseum in Bukarest ein Dokumentarstück aufzuführen über ein Massaker der rumänischen Armee in Odessa. Vielleicht stammen wir alle von Mördern ab, heißt es in diesem Film.

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