Kritik zu Und morgen die ganze Welt

© Alamode Film

Julia von Heinz erzählt in ihrem neuen, in Venedig vorgestellten Film von einer jungen Frau, die sich der Antifa anschließt. Das ist mutig, politisch wichtig – und über weite Strecken auch spannend inszeniert

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3 (Stimmen: 1)

Man spürt die Faszination und Fremdheit, wenn Luisa (Mala Emde), die Tochter aus »gutem Hause«, durch die Räume der Wohngemeinschaft im besetzten Haus geht und wir Zuschauer mit ihren Augen die Vorhänge sehen, mit denen Zimmer abgetrennt werden, und das ganze Chaos, das sich eben so anstapelt. Ihre Freundin Batte (Luis-Céline Gaffron) lebt da, und beide verbindet ein gegen die Rechten gerichtetes politisches Selbstverständnis und Engagement. Kampftraining gibt es dort auch, und man bespricht eine Aktion gegen eine Wahlkampfveranstaltung von Rechtspopulisten, die von Neonazis geschützt wird. 

Luisa studiert Jura im ersten Semester, und programmatisch hat Julia von Heinz ihrem neuen Film ein Zitat aus Artikel 20 des Grundgesetzes vorangestellt, der das Recht auf Widerstand aller Deutschen gegen diejenigen herausstellt, die die verfassungsmäßige Ordnung abschaffen wollen – »wenn andere Abhilfe nicht möglich ist«. Und man hat den ganzen Film über das Gefühl, dass die Polizei und die Sicherheitsorgane diese Abhilfe nicht bieten können. 

Heute ist Antifa, nicht erst seit Donald Trump, zu einem Schimpfwort geworden, man sollte aber nie vergessen, dass sich Aktivitäten gegen Rechte und Neonazis aus diesem Vakuum speisen. Und manchmal schadet es auch nicht, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass der erste berühmte Neonazi der Bundesrepublik, Michael Kühnen, durch Informationen aus Antifa-Kreisen in den 80ern zu Fall gebracht wurde. Die zentrale Frage in solchen Gruppen ist immer: Wie weit darf man gehen? Friedlicher Protest oder auch gezielt eingesetzte Gewalt? Gegen Sachen oder auch gegen Menschen?

Diese Diskussion macht der Film klugerweise an seinen Figuren fest. Batte ist für konsequente Gewaltlosigkeit, Alfa (­Noah Saveedra) und Lenor (Tonio Schneider) sind schon bereit weiterzugehen. Wobei der überlegte Lenor eher das politische Ziel im Auge hat und Alfa, der nicht umsonst so heißt, den Weg dorthin, die Action. Luisa jedenfalls fühlt sich politisch mehr zu Alfa hingezogen – auch erotisch hat es ihr der coole und militante street fighting man angetan. Das kommt ein bisschen wie ein Klischee daher – aber es beschädigt den Film auch nicht. 

Auf der Wahlkampfveranstaltung jedenfalls, die mit blauen Logos auf die AfD anspielt, eskaliert die Situation. Farbeier fliegen, als die Ordner gegen die Gegendemonstrationen vorgehen. In einem Handgemenge erobert Luisa ein Handy mit Daten für einen Neonaziüberfall, ein Hinweis auch auf die Allgegenwart rechter Netzwerke. Auch der Titel des Films, eine Anspielung auf den Refrain des HJ-Liedes »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt« deutet diese Gefahr an. Und der Film schildert letztlich eine Gewaltspirale. Bei der zweiten Aktion zerstört die Gruppe die Autos der Neonazis, bei der dritten ist schon Sprengstoff im Spiel. Allerdings hatten den die Rechten gehortet. 

Von Heinz und ihrer Kamerafrau Daniela Knapp gelingt es, das Rauschhafte dieser Aktionen, die Atemlosigkeit und die Anspannung, aber auch die Angst auf den Zuschauer zu übertragen, mit einer entfesselten Handkamera und schnellen Schnitten. Im Kontrast dazu steht das Moment des Innehaltens, als Alfa, Lenor und die verletzte Luisa Schutz suchen bei Dietmar (Andreas Lust), der bei den Revolutionären Zellen war und für Jahre im Gefängnis saß. Auch wenn er desillusioniert ist, hält er den Kampf gegen die Nazis für Flickwerk, solange das »große Ganze«, der Kapitalismus, noch existiert. 

Julia von Heinz hat, autobiografisch inspiriert, mit einer großartigen Mala Emde in der Hauptrolle den politisch wichtigsten Film der letzten Jahre gedreht, der nie einen Zweifel daran lässt, dass die Gewalt von den Rechten ausgeht. Jede faschistische und neonazistische Ideologie ist antizivilisatorisch und inhuman. Aber am Ende des Films räumt die Polizei das besetzte Haus. Auch das ist als ein Kommentar zu verstehen.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich finde den Fim großartig und sehr wichtig!
Aber: es fehlte im Film der in der Gesellschaft geduldete Umstand, dass die massiv verbreitete Nazi-Propaganda im öffentlichen Raum (Nazi-Graffitis & Sticker, Plakate) in keiner Weise thematisiert wurde. Ebenso wäre es auch gut gewesen, aufzuzeigen, wie gut die Nazis mit den Behörden kooperieren und eben auch (ältere) AntifaschistInnen mit Hilfe der Nazis kriminalisiert werden!

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