130 Jahre und anderthalb Monate
Um die Wendersfilme abzuzählen, die Spaß machen, wäre eine Hand schon zu viel. Der alte Witze mit den Männern vom Sägewerk trifft es viel eher. Ihre Qualitäten liegen wahrscheinlich anderswo. Gleichviel, heute gilt es, einen Ausreißer zu feiern: „Die Gebrüder Skladanowsky“.
Es ist der einzige Stummfilm, den Wim Wenders gedreht hat, aber er ist viel lauter als die meisten anderen. Entstanden ist er vor dreißig Jahren, als das Kino sich anschickte, seinen 100. Geburtstag zu feiern. Aber anders als das Gros der Jubiläumsfilme nimmt er nicht die Brüder Lumière in den Blick, sondern macht ihnen den Pionier-Ruhm streitig. Die drei Brüder aus Pankow kamen ihnen zuvor; nicht nur, was die erste Filmvorführung vor zahlendem Publikum angeht. Sie fand am 1. November 1895 im Berliner Wintergarten statt. Auch gedreht haben sie schon erheblich früher – wobei Max Skladanowsky bereitwillig einräumte, dass die Kamera der Konkurrenten aus Lyon von besserer Qualität war. Als die großen Verlierer der Filmgeschichte will Wenders sie dennoch nicht darstellen, obwohl ihm dieses Pathos schon gefiele. Allerdings hat er den Film nicht allein gemacht. sondern mit Studierenden der HFF München. Zusammen mit zwei von ihnen, Florian Gallenberger und Veit Helmer, stellt Wenders ihn am Freitagabend in der Berliner Akademie der Künste vor. Die haben seither ordentlich Karriere gemacht; Helmer figurierte seinerzeit bereits keck als Mitproduzent. Der unermüdliche Knut Elstermann moderiert. Still wird es auch aus einem anderen Grund nicht werden, denn Filmkomponist Laurent Petitgand hat ein musikalisches Programm vorbereitet. Er vertonte bereits den Film, der nun in einer 4K-Restaurierung vorliegt. Ganz hart schlug er darin eingangs die Klaviertasten an. Das DFF in Frankfurt und das Bundesarchiv sind Kooperationspartner der Akademie.
Die gemeinsame Idee in Wenders' Klasse an der HFF war damals, die Hommage an die Brüder Emil. Max und Eugen mit den gleichen technischen und ästhetischen Mitteln zu drehen, die ihnen Ende des 19. Jahrhunderts zur Verfügung standen. Eine alte Stummfilmkamera wurde im Filmmuseum Potsdam gefunden, wenngleich aus den 1920ern. Ob die Skladanowskys schon Irisblenden einsetzten, müsste man noch mal überprüfen. Das Ganze sieht jedenfalls großartig aus. Einige Passagen sind indes in Farbe gedreht, Wenders und sein hochkarätiges Team haben noch eine Enkelin interviewt, deren Erinnerungen lebhaft sind. Auch der fulminante Schluss ist in Farbe, als die Brüder eine Zeitreise unternehmen und ein Jahrhundert später stauenden Blicks verfolgen, wie der Potsdamer Platz neu entsteht. Also auch ein Film über die Versprechen der Zukunft, nicht bloße Nostalgie. Vor der Wiedervereinigung hätte er nicht gedreht werden können.
Er ist in drei Akte aufgeteilt. Die Anfänge werden von der Skladanowsky-Tochter Getrud erzählt, einer altklugen Berliner Göre, die frech ihren enormen Beitrag an den Erfindungen herausstreicht. Mutterwitz hat auch der Off-Kommentar von Rolf Zacher, der als Max vom Triumph im Wintergarten und dem späteren Abstecher nach Paris berichtet, wo die Lumières ihre eigenen Triumphe feiern. Gespielt wird Max freilich von Udo Kier, der uns allen fehlt. Gerade konnte man ihn noch in „The Secret Agent“ von Kleber Mendonca Filho bewundern. Nun ist es eine Freude, ihn in dieser zärtlichen und zukunftsweisenden Rolle zu sehen, Das dritte Segment bilden die Gespräche mit Lucie Hürtgen-Skladanowky, die kregel und enthusiastisch die Familiengeschichte rekapituliert.
Die Idee der bewegten Bilder verfolgten die Brüder schon 1892, also nicht viel später als Edison. Sie sind heitere Erfinder, phantasiebegabte Bastler. „Det is die neue Zeit, det is Kintopp“, berlinert Rolf Zacher munter. Eigentlich ist alles bereits da, Drama, Slapstick, Sensationen (das berühmte boxende Känguru, das jedoch gedoubelt werden musste), Akrobatik und Poesie (auch der Serpentinentanz wurde heimlich nachgestellt), selbst Industriespionage und sogar schon Product Placement (ein Werbefilm für Liebigs Fleischextrakt, in dem der erste Kinderstar der Filmgeschichte auftritt). Die Filmgeschichte wird gegenwärtig bei Wenders & Co, auch 30 und 130 Jahre später. Nicht von ungefähr nannten die Brüder ihren Projektionsapparat, durch den 54mm-Film lief, Bioskop: Lebensbetrachtung.




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