Show me the Money!
Mein Jurykollege Philippos Chatzikis berichtete, dass der griechische Staat seine Bürger verpflichtet, mindestens ein Drittel ihrer Geldgeschäfte bargeldlos abzuwickeln. Diese Maßnahme wurde offiziell ergriffen, um der weit verbreiteten Steuerhinterziehung entgegenzuwirken. Aber ich vermute, die Gründe dafür liegen tiefer. Denn in den griechischen Wettbewerbsbeiträgen begegnete uns eine ganz andere Art von Schattenwirtschaft.
In ihnen ist das innige Verhältnis der Griechen zum Bargeld hautnah zu spüren. Geldscheine tauchen einzeln oder in Bündeln auf, sie wechseln andauernd den Besitzer, werden verstohlen zugesteckt und mit strengem Blick entgegengenommen, um sodann wieder und wieder gezählt zu werden. Portemonnaies spielen eine untergeordnete Rolle, das Geld ist immer schon parat, sozusagen sprungbereit. Wenn Münzen auf den Plan treten, ist das ein untrügliches Zeichen, dass es ans Eingemachte geht. Fürwahr, das aktuelle griechische Kino erstattet dem Geld eine physische Präsenz zurück, die ihm anderswo längst abhanden gekommen ist.
Darin darf man getrost eine tiefe Skepsis gegenüber Kreditkarten und digitalem Zahlungsverkehr erkennen. Das Land erscheint gleichsam als mediterraner Gegenentwurf zum unbaren Skandinavien. Die Filmfiguren leisten erbitterten Widerstand gegen die Abstraktion, wenngleich nicht aus freien Stücken oder gar philosophischen Gründen. Eine Frage der Mentalität dürfte es schon sein. Aber sie haben ihre je eigenen Motive, keine digitalen Spuren zu hinterlassen. Indes, ist die Sperrung der Kreditkarte ebenso demütigend wie das Borgen und Betteln um Bares? Die Häufung dieses Phänomens lässt mich darauf schließen, dass wir hier nicht einer Parallel-, sondern einer klandestinen Mehrheitsgesellschaft in ihrem Alltag zuschauen. Die ökonomische Krise der 2010er Jahre ist mitnichten überwunden, die Geldbörsen sind allerorten klamm.
In Filipos Tsitos' munterer Schelmenkomödie „Receptions“ droht einem Ruheständler, der früher als aufrechter Enthüllungsjournalist von sich reden machte, der Verlust seiner Wohnung, da er seit einer halben Ewigkeiten mit der Miete im Rückstand ist. Sein Bruder will ihm nicht weiter helfen, auch seine Ex-Frau kann kaum Geld zu seiner Unterstützung locker machen. Eines Tages lernt er eine Clique von Nassauern kennen, die es zum Geschäftsmodell erhoben haben, als ungeladene Gäste bei Konferenzen, Tagungen und Empfängen die Buffets zu plündern. Zwar ist sein Presseausweis abgelaufen, aber dank seiner Chuzpe verschafft der Unbeugsame sich und seinen Komplizen Zutritt zu den Fleischtöpfen. Ein Hindernis bei ihren Raubzügen stellt ein misstrauischer Caterer dar, der monopolistisch sämtliche Buffets ausrichtet und seine Pappenheimer kennt. (Nebenbei spielt auch das Goethe-Institut eine unrühmliche Rolle.) Gleichviel, seinen Stolz will der ehemalige Journalist nicht drangeben; es geht ums Überleben und die Würde. Bei der Diskussion nach dem Film, die unserer griechischer Kollege summarisch übersetzte, ging es hoch her. Der Saal war gespalten in eine Fraktion, die die geschilderte Misere übertrieben und eine andere, die sie absolut realistisch fand.
Der zypriotische Polizist in dem mulmig dostojewskihaften Neo-Noir „Diversion“ von Marinos Kartikkis hat seinen Sinn für Integrität und Würde längst verloren. Er transportiert in Nikosia Leichen zur Gerichtsmedizin und stiehlt ihnen dort schamlos ihren Schmuck. Auch bei ihm reicht es hinten und vorne nicht, der Sohn wünscht sich unbedingt neue Fußballschuhe und seine Ex-Frau ist es satt, jeden Monat auf die Alimente warten zu müssen. Sein Hehler klagt, dass der Markt für Juwelen praktisch tot ist. Die Ereignisse spitzen sich zu, Zufälle häufen sich in hanebüchener Weise (obwohl: wir befinden uns stets in einer Welt der kurzen Wege) und die Katastrophe nimmt ihren dostojewskihaft schleppenden Lauf. „Little Man-Eater“, von Yannis Fagras entsetzlich fahrig inszeniert, ist der einzige Fall, in dem sich das Geld tatsächlich vermehrt. Zwei niederträchtige Tagelöhner schließen sich einer Kapitänin an, die einen Schatz bergen will. Vor einer Insel hat ein Boot mit Geflüchteten Schiffbruch erlitten. Das Trio vermutet auf dem Meeresgrund ein immenses Vermögen, das eigentlich für Schleuser und einen Neubeginn in Europa gedacht war – und es soll Recht behalten. Die Beute wird geborgen, getrocknet und dann so obszön durchgezählt wie in einem amerikanischen Mafiafilm. Alsbald schachern die Drei erbittert um ihren Anteil, im Kern ist dies eine Paraphrase vom „Schatz der Sierra Madre“, bis am Ende die Geldscheine auf den teilnahmslosen Wellen davonschwimmen.
Kurios, dass all diese griechischen Miseren in Breitwand gedreht wurden, dem Format der Fülle und des Überflusses. In „Smaragda – I got thick skin and I can't jump“ von Emilios Avraam hingegen spielt das Geld nur in einer Szene eine Rolle – nach einem Date wird kurz gestritten, ob nun der Mann oder die Frau die Rechnung bezahlt. Die Tragikomödie erinnerte mich streckenweise stark an „Gloria“ von Sebástian Lélio; in einem französischen Remake würde gewiss Virginie Efira die Hauptrolle spielen. Aber Niovi Charalambous gibt ihrer Figur einen ganz eigenen, unwiderstehlichen Elan, ein patentes Schillern zwischen romantischer Hoffnung und Verzagtheit. Die Hauptfiguren von Nikos Kornilios' melancholischem „Winter Sea“ schließlich scheinen finanzieller Sorgen gänzlich enthoben. In seinem sanft sturmumtosten Melodram lässt der Regisseur drei Einsamkeiten aufeinandertreffen und gemeinsam über Verlust und Zeit meditieren. Ein junge Geologin steht zwischen zwei Liebenden, die sich vor langer Zeit trennten. Stellen Sie sich ein Drehbuch von Antonioni vor, dass Theo Angelopoulos verfilmt hat. Die Darsteller sind einnehmend und die Kameraarbeit ist von ungeheurer atmosphärischer Präzision. In „Winter Sea“ fällt auch der schönste Dialogsatz des Festivals. „Mit Geschichte kann ich nichts anfangen“, sagt die Geologin, „sie ist ein zu kleiner Maßstab.“





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