32. Filmfest Oldenburg: Long live independent film!
»Harakiri, I Miss You« (2025)
Das auf Independent-Filme spezialisierte Filmfest Oldenburg ist ein Ort für Entdeckungen – sogar Sean Baker hat hier seine ersten Filme präsentiert
Als in diesem Jahr der Independent-Filmemacher Sean Baker einen Oscar-Rekord aufstellte und für seinen Film »Anora« gleich vier Trophäen – Bester Film (als Produzent), Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch und Bester Schnitt – einheimste, wurde dies auch bei den Verantwortlichen des Filmfests Oldenburg gefeiert. Denn mit seinen frühen Filmen »Starlet« (2012) und »Tangerine L.A.« (2015) war Baker seinerzeit höchstpersönlich in Oldenburg zu Gast. Ein Alumnus des Filmfests als Oscar-Rekordhalter: Das mache bei Filmschaffenden durchaus Eindruck und habe dieses Jahr vielleicht den einen oder anderen nochmal besonders überzeugt, Filme hier zu präsentieren, berichtet Festivalleiter Torsten Neumann im Gespräch.
Wenn Medien das Filmfest vorstellen, wird gerne von dem Jahr erzählt, in dem das Schicksal dafür sorgte, dass mit Nicolas Cage ein Weltstar zu Gast war. Die Geschichte mit Baker allerdings beschreibt deutlich besser, wofür Oldenburg steht: Mutige, junge Filmschaffende, die viele nicht kennen, aber bei denen es immer sein kann, dass eine große Karriere bevorsteht. Gibt es in diesem Jahr einen möglichen neuen Baker? Den Spanier Alejandro Castro Arias, dessen Film »Harakiri, I Miss You« in Oldenburg Weltpremiere feiert, müsse man unbedingt auf dem Schirm haben, meint Neumann, oder Yun Xie, die mit »Under the Burning Sun« den Audience Award beim amerikanischen Slamdance Film Festival gewonnen hat, und »The Silent Sinner« sei ein echtes Fest für Cineasten; aber eigentlich würde Neumann jetzt am liebsten alle Filme hervorheben.
Besondere Themenschwerpunkte gibt es, abgesehen von den filmgeschichtlichen Tributes und Retrospektiven (dieses Jahr werden unter anderem die Schauspieler Don Keith Opper und Scott Glenn gewürdigt), eigentlich nicht. Entstehen tun sie manchmal trotzdem. Der Zufall wollte es, dass in diesem Jahr mit »Cracy Love« (Jason Byrne, Kevin Treacy), »Horseshoe« (Edwin Mullane, Adam O'Keeffe) und »Re-Creation« (David Merriman, Jim Sheridan) gleich drei Filme aus Irland zu sehen sind. So wurde spontan ein Schwerpunkt daraus gemacht, für den nun sogar die irische Botschafterin anreist. Man habe nicht nach einem Schwerpunkt gesucht, sagt Neumann, er sei einfach entstanden, und gerade das sei vielleicht ein Hinweis, dass es aktuell in Irland eine sehr lebendige Independent-Filmszene gebe, die man im Blick behalten müsse.
Genaue Kriterien, was als Independent-Film gilt, gibt es nicht. Die klassische amerikanische Definition von Studio- und Nicht-Studio-Produktion ist auf andere Länder nicht wirklich übertragbar, und auch in Amerika verschwimmen mittlerweile die Grenzen. »Im Zweifelsfall ist es uns wichtig, dass die Filme mutig sind und unkonventionelle Wege gehen«, erklärt Neumann. Und natürlich gebe es immer ein paar absolute Low-Budget-Produktionen, die sonst keiner zeigt. Dabei begreift sich das Filmfest dezidiert als internationales Festival. In Deutschland lässt das eng gestrickte Fördersystem wenig Raum für eine echte Independent-Szene. Ungewöhnliche Filme entstehen oft im Rahmen von Abschlussfilmen. In diesem Jahr präsentiert das Filmfest unter anderem »Danke für nichts« im Rahmen einer Gala im Oldenburgischen Staatstheater. Stella Marie Markerts an der Filmuniversität in Babelsberg entstandener Film handelt von vier Mädchen in einer betreuten Wohngruppe und thematisiert mit ungewohnt poppiger Erzählweise und lakonischem Humor harte Themen wie psychische Probleme und Suizidgedanken.
Was alle Filme eint: Sie haben es extrem schwer, Verleiher zu finden, die die Filme ins Kino bringen, auch die großen Streaming-Anbieter scheuen sich. Selbst wenn ein Film einen Kinostart bekommt, ist er meist nur für sehr kurze Zeit zu sehen. Filmfestivals wie das in Oldenburg sind dann oft die einzige Möglichkeit, die Filme überhaupt zu sehen. »Ich glaube, dass die Menschen eigentlich Lust auf unkonventionellere Filme haben«, ist sich Torsten Neumann sicher. Aber im Moment sei es schwer, die Gewohnheiten zu durchbrechen. Als Festival habe man es durch den Event-Charakter etwas einfacher. Ein Projekt, um darüber hinaus Filme zugänglich zu machen, ist die von Neumann ins Leben gerufene Streaming-Plattform »The Platform«. Dort kann man eine kleine Auswahl vergangener Festival-Filme als Video-on-Demand-Leihe erwerben, darunter Filme wie das polnische Satire-Drama »Faggots« oder der laotische Science-Fiction-Thriller »The Long Walk«, die ansonsten hierzulande nicht zu finden sind. Neumann will das Angebot auf jeden Fall ausbauen, aber die Kapazitäten sind begrenzt und die Herausforderungen, eine solche Plattform im Algorithmus-dominierten Netz voranzubringen, immens. Klar ist jedoch: Egal ob alternative Streaming-Plattform oder analoges Festival, es braucht Orte für mutige, unkonventionelle Filme, die man über die üblichen Wege nicht zu sehen bekommt.
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