Kritik zu Tides

englisch © Constantin Film

Mit epischen Bildern und apokalyptischer Ästhetik knüpft Tim Fehlbaum an seinen Debütfilm »Hell« an und liefert das beklemmende Bild einer verfallenden Gesellschaft angesichts der Klimakatastrophe

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Wir leben in apokalyptischen Zeiten. Im Sommer 2021 dominieren gigantische Waldbrände, verheerende Überschwemmungen und unberechenbare Kriege die Nachrichtenmeldungen, all das überschattet von einer andauernden weltweiten Pandemie. Viele dieser Motive erscheinen aus Filmen wie »The Day After Tomorrow« (2004), »Interstellar« (2012) oder »The Road« (2009) vertraut. Im Blockbusterkino hat sich Regisseur und Produzent Roland Emmerich auf die Katastrophenfantasie spezialisiert, und mit seinem Namen ist auch Tim Fehlbaums zweiter Kinofilm »Tides« (2021) verbunden, der von Emmerich präsentiert wird.

2011 erschien Tim Fehlbaums Debütfilm »Hell« und überzeugte durch sein beängstigendes Porträt einer sonnenverbrannten Welt, die ein Überleben der Menschheit nachdrücklich infrage stellt. »Tides« mutet angesichts dieser Prämisse wie eine späte Fortsetzung an: Mitte des 21. Jahrhunderts macht eine Umweltkatastrophe das Leben auf der Erde unmöglich. Ein kleiner Teil der Menschheit hat sich auf den Planeten Kepler gerettet. Zu geeigneter Zeit will man auf die möglicherweise regenerierte Erde zurückkehren.

»Tides« beginnt mit der misslungenen Landung einer zweiten Kepler-Mission auf der Erde. Die Wissenschaftlerin Louise Blake (Nora Arnezeder) muss nicht nur den Tod der halben Besatzung miterleben, sondern wird selbst im ewigen Nebel der von Wasser dominierten Erdenwelt von barbarisch anmutenden Schlammbewohnern, den Muds, entführt. Der Filmbeginn überzeugt durch drastische Nahaufnahmen und eine intensive Atmosphäre, die vieles im Dunkeln lässt. Mit der Protagonistin verstehen wir nur langsam, wie diese rudimentäre Gesellschaft strukturiert ist. 

Die erste Hälfte des Films beschwört in aktualisierter Form den Geist des postapokalyptischen Genres, wie ihn vor allem die »Mad Max«-Filme seit 1982 vorgeben. Die Welt ist in ihrer monochromen Verfallsästhetik reizvoll gestaltet und baut auf eine kämpferische Titelheldin. Nora Arnezeder war gerade in Zack Snyders »Army of the Dead« (2021) als punkige Kriegerin zu sehen und vermittelt hier überzeugend das Wechselbad aus Verletzlichkeit und Durchsetzungswillen, das ihre Louise Blake auszeichnet. Ihr Vater – so erfahren wir – leitete die erste Mission zur Erde und ist seither verschwunden. Im Auftrag der Kepler-Kolonie, in der sie mit Missions- und Pioniergeist erzogen wurde, sucht Louise nun die legendäre Henderson-Area an der Atlantikküste, die inzwischen wieder bewohnbar sein soll. Nachdem sie ihren Entführern entkommen kann, landet Louise schließlich auf einem riesigen Gefangenenschiff, in dem der undurchschaubare Gibson (Iain Glen) herrscht, der einst ihrem Vater untergeordnet war und Louise zunächst willig bei sich aufnimmt.

Als schweizerisch-deutsche Koproduktion mit globalen Ambitionen ist »Tides« ein eindruckvolles Projekt. In einer sorgsamen Mischung aus Originalschauplätzen, Bauten und Computergrafiken gelingt Kameramann Markus Förderer eine ebenso gigantische wie triste Bildwelt, die den Vergleich mit Hollywoodproduktionen nicht scheuen muss. Allerdings baut die Inszenierung nur im ersten Drittel auf jenen rätselhaften, sehr physischen Inszenierungsstil, der dem Film eine eigenständige Qualität verleiht.

Dennoch: »Tides« ist über große Strecken, was er sein möchte, ein atmosphärisch konsequent stilisiertes Endspiel mit Verweisen auf große Vorbilder wie »Waterworld« (1995) und »Mad Max 2 – Der Vollstrecker« (1982), das im Verlauf der Handlung zusehends auf ein quasiödipales Psychodrama vertraut. Die zähe Heldin muss sich zwischen dem guten und dem bösen Vater entscheiden, um die schlammige Welt der verbliebenen Menschheit zu retten. Was bleibt, sind vor allem die monumentalen Bilder von einer überfluteten Welt – eine unangenehm zeitgemäße Metapher für unsere Gegenwart.

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