Interview: Ishana Shyamalan über »They See You«

»Ich weiß ich, dass ich mit einer guten Portion Privilegien gestartet bin«
Ishana Night Shyamalan am Set von »They See You« (2024). © Warner Bros. Entertainment Inc.

Ishana Night Shyamalan am Set von »They See You« (2024). © Warner Bros. Entertainment Inc.

Die Lust am Gruseln scheint in der Familie zu liegen: mit »They See You« (ab 6. Juni im Kino) legt Ishana Shyamalan ein Regiedebüt vor, in dessen Genre auch M. Night Shyamalan zuhause ist. In London stand die Mittzwanzigerin, die zuvor mit ihrem Vater als Second Unit-Regisseurin sowie bei der Serie »Servant« kollaboriert hatte, anlässlich des Horrorthrillers Rede und Antwort

Ms. Shyamalan, Ihr Debütfilm »They See You« basiert auf dem Roman »The Watchers« des irischen Autoren A.M. Shine. Was sprach Sie an dieser Geschichte so sehr an, dass Sie sie verfilmen wollten?

Zunächst einmal konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen, weil es so spannend war. Das ist ja schon einmal ein guter Grund, oder? Ich wusste vorab nichts über die Geschichte und war dann wirklich begeistert, wie sie zunächst als Psychothriller beginnt und sich dann weiterentwickelt in eine Mystery- und Gruselrichtung. Vor allem aber beschwört Shine bemerkenswerte Bilder herauf – und das ist etwas, worauf ich als Regisseurin sofort anspringe. Die visuelle Seite des Filmemachens kommt bei mir nämlich an erster Stelle.

Das Setting der Geschichte ist unerwartet spezifisch. Haben Sie selbst einen Bezug zu Irland?

Gar nicht. Tatsächlich war ich vor der Arbeit an »They See You« nie dort. Aber der Romanautor stammt aus Galway und seine Heimat nimmt wirklich viel Raum im Buch ein. Was ein Grund dafür war, dass ich so fasziniert war, denn die Beschreibungen lasen sich so detailliert, und gerade bestimmte Mythen und folkloristische Elemente, die für die Geschichte von großer Bedeutung sind, konnte und wollte ich nicht einfach woanders hin verpflanzen. Deswegen habe ich mich begeistert auf die Gelegenheit gestürzt, mich wirklich vertraut zu machen mit Irland und der dortigen Kultur und Traditionen.

Ohne zu viel zu verraten bezüglich der – zumindest in der Originalfassung – titelgebenden »Watchers«, stellt sich bei einem solchen Film ja immer die Frage: ab welchem Moment zeigt man die Kreaturen? Wie sind Sie da vorgegangen?

Das ging tatsächlich mit viel Experimentieren einher. Ich liebe es, während des Schreibens immer wieder an der Struktur einer Geschichte zu schrauben und verschiedene Variationen auszuprobieren. Tatsächlich ist der Moment, an dem das Publikum erstmals die Befriedigung erfährt, endlich diese Wesen zu sehen, von denen die ganze Zeit die Rede ist, natürlich einer der wichtigsten des ganzen Films. Entsprechend lange habe ich ausprobiert, was am besten funktioniert, so die Wirkung am intensivsten ist. Auch später in der Montage noch. Aber irgendwann habe ich gespürt, dass ich den bestmöglichen Zeitpunkt gefunden hatte.

War Ihnen als Tochter eines so erfolgreichen Regisseurs wie M. Night Shyamalan eigentlich früh klar, dass Sie mal in seine Fußstapfen treten wollen?

Das war eher ein gradueller Prozess. Kreativität und Kultur wurden in unserer Familie immer großgeschrieben, aber es ging eben längst nicht nur um Film. Schreiben, aber auch Malerei waren für mich früh Wege, mich selbst auszudrücken und mit meinen Emotionen umzugehen. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich ausprobiert, denn dass ich künstlerisch tätig sein wollte, war mir immer klar. Ich musste nur herausfinden, in welchem Medium. Je mehr ich begriff, wie viele verschiedene Aspekte von Kreativität und künstlerischen Tätigkeiten das Filmemachen umfasst, desto sicherer wurde ich, dass das mein Weg ist.

Hatte Ihr Vater Sie denn von klein auf an seiner Arbeit teilhaben lassen?

Ja, wir haben schon in unserer Kindheit viel Zeit an seinen Sets verbracht. Ich hatte also immer eine Idee davon, was Regieführen bedeutet. Aber es ist eine Sache, jemanden dabei zu beobachten, und etwas ganz anderes, irgendwann selbst in dieser Position zu sein. Papa bei der Arbeit zu besuchen, bereitet einen nicht wirklich auf den Job vor.

Interessanterweise erzählten Sie deswegen vor ein paar Jahren auch in der New York Times, dass Sie vor Ihrem ersten Regie-Job bei der Serie »Servant« erst einmal Kolleginnen bei der Arbeit zusehen wollten. Weil Sie noch nie eine Frau hatten inszenieren sehen.

Mir war das tatsächlich wichtig, weil ich bei meinen ersten Kurzfilmen eine echte Verunsicherung spürte. Als Regisseur hatte ich meinen Vater vor Augen, aber ich wusste, dass meine Persönlichkeit eine ganz andere ist als seine und ich nicht einfach sein Verhalten kopieren konnte. Dazu bin ich zu still, zu wenig jovial und gesellig. Wenn man einmal darüber nachdenkt, realisiert man schnell, wie gegendert das Bild des »Filmemachers« ist, das wir alle im Kopf haben. Man schreibt diesem Berufsbild alles das zu, was Mädchen traditionell nicht unbedingt mitgegeben wird: selbstbewusstes Auftreten, Stolz, laut und entscheidungsfreudig sein. Andere Regisseurinnen bei der Arbeit zu sehen, sowohl bei YouTube als auch etwa Julia Ducournau bei »Servant«, hat mir zu erkennen geholfen, dass es auch anders geht und ich meinen eigenen Stil finden kann.

Trotzdem dürfte es Ihrem Start in diesem Beruf sehr geholfen haben, M. Night Shyamalans Tochter zu sein. Nervt es Sie, nun als Nepotism-Baby abgestempelt zu werden?

Ach, natürlich weiß ich, dass ich meinen Weg mit einer guten Portion Privilegien gestartet bin. Und ich bin dankbar dafür, in diese Familie hineingeboren worden zu sein. Gleichzeitig bringt es auch Komplikationen in Form von Erwartungen und Vorurteilen mit sich, wenn man in die Fußstapfen seines Vaters tritt. An beidem kann ich nichts ändern und lasse mich davon nicht aus der Fassung bringen. Jeder Künstler und jede Künstlerin muss sich ganz eigenen Schwierigkeiten und Konflikten stellen, das ist immer auch Teil des Schaffensprozesses. Alles in allem kann ich aber gut nachvollziehen, dass das Thema Nepotismus dieser Tage so viel diskutiert wird. Wir leben nun einmal in einer Zeit, in der die Kluft zwischen privilegierten und unterprivilegierten Menschen immer größer wird. Entsprechend befürchten viele, dass auch durch Nepotismus immer unbeweglichere Hierarchien entstehen. Solchen Sorgen versuche ich, mit aufrichtiger, ehrlicher Arbeit entgegenzutreten – und in meinem kreativen Umfeld selbst möglichst viele meiner Privilegien mit anderen zu teilen und neue Möglichkeiten zu schaffen.

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