London Film Festival

Die Monster in uns
»Pretty Red Dress« (2022)

»Pretty Red Dress« (2022)

Das London Film Festival, veranstaltet vom British Film Institute, legte seinen Schwerpunkt auf heimische Produktionen – sehr erfolgreich

Das Programm des diesjährigen London Film Festivals war längst bekannt gegeben, als dessen Leiterin Tricia Tuttle öffentlich machte, dass die Ausgabe in diesem Oktober ihre letzte sei und sie ihren Posten beim British Film Institute nach fünf Jahren aufgibt. Die Besucherzahlen sind unter ihrer Führung ebenso gewachsen wie das internationale Renommee des Festivals, und auch in ihrem (offenkundig selbst gewählten) Abschiedsjahrgang untermauerte sie noch einmal, dass der Schwerpunkt des BFI LFF – neben den großen Cannes-, Venedig- und Toronto-Erfolgen – vor allem auf dem heimischen Kino liegt.

Als besonders eindrucksvoll erwiesen sich dieses Mal die Debüts britischer Regisseur*innen. Zwei von ihnen hatten bereits an der Croisette bzw. am Lido für Aufsehen gesorgt. Die berührende Vater-Tochter-Urlaubsgeschichte »Aftersun« von Charlotte Wells, die sich als visuell spannende und mit 90er-Jahre-Nostalgie getränkte Auseinandersetzung mit dem Thema Depression entpuppt, wurde nun – genau wie Hauptdarsteller Paul Mescal – in London noch mehr gefeiert als in der Semaine de la Critique in Cannes. Ähnlich erging es Georgia Oakley und ihrem bemerkenswerten »Blue Jean«, der zuvor Premiere in den Giornate Degli Autori gefeiert hatte. Sie blickt darin zurück ins Jahr 1988, als die Thatcher-Regierung die Gesetzerweiterung Section 28 einführte. Damit wurde »die Förderung der Homosexualität« durch Schulen und andere Behörden verboten, was hier für die lesbische, im Job natürlich ungeoutete Sportlehrerin Jean (eine Entdeckung: Rosy McEwen) zum Problem wird. 

Deutlich mehr in Richtung Feelgood geht »Pretty Red Dress«, der Erstlingsfilm von Dionne Edwards, beim LFF als Weltpremiere zu sehen. Mit Charme, Schwung und Feingefühl erzählt sie darin von Candice (Alexandra Burke), die im Supermarkt an der Kasse sitzt, aber ehrgeizig ihre Musicalträume verfolgt, ihrem Partner Travis (Natey Jones), der gerade auf Bewährung aus dem Knast entlassen wurde, und Tochter Kenisha (Temilola Olatunbosun). Dass nicht nur Familiendynamiken, sondern nebenbei auch Männlichkeitskonventionen (das titelgebende Kleid trägt hier nicht nur die Mutter!) und Facetten von Queerness untersucht werden, macht den Film dabei interessanter als viele andere BritComs. Unbedingt erwähnenswert ist auch Andrew Cummings' in jeder Hinsicht düsterer und clever inszenierter Gruselthriller »The Origin«, der vor 45.000 Jahren spielt, komplett in einer Fantasiesprache gedreht wurde und viel über die Monster in und ums uns herum zu sagen hat.

Omnipräsent war beim Festival ansonsten der Streamingdienst Netflix. Als Eröffnungsfilm lief die Adaption des sensationell erfolgreichen, auf Roald Dahl basierenden Musicals »Matilda« (bei uns im Kino ab 25.12.), inszeniert von Matthew Warchus, und als Abschluss das schon in Toronto gefeierte »Knives Out«-Sequel »Glass Onion«. Zu den Höhepunkten dazwischen gehörte nicht nur »The Wonder«, sondern auch »Lady Chatterly's Lover« (ab 2.12.). Die französische Regisseurin Laure de Clermont-Tonnerre inszeniert die altbekannte Geschichte mit erfrischend feministischer Erotik – und Hauptdarstellerin Emma Corrin empfiehlt sich – wie schon in »The Crown« und aktuell »My Policeman« – als Star für die Zukunft.

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