Lob des Kammerspiels

Das diesjährige Fantasy Film Fest
»Ted K.« (2021)

»Ted K.« (2021)

Die Pandemie macht auch vor dem fantastischen Film nicht Halt, sie inspiriert Geschichten, aber sie sorgt offenbar auch dafür, dass mehr Kammerspiele entstehen

Das extremste beim diesjährigen Fantasy Film Fest ist Tony Stones »Ted K.«. Uraufgeführt bei der Berlinale im März, kommt das zweistündige Werk über weite Strecken mit einer einzigen Figur aus. Sein Protagonist ist der als Una-Bomber bekannt gewordene Wissenschaftler Ted Kaczinsky, bei dem in der Abgeschiedenheit des Waldes und der fast vollkommenen Abwesenheit jeglicher Bindungen an andere Menschen Verschwörungstheorien aufblühen, wo er seine Ruhe durch Waldarbeiter und Motorradfahrer gestört sieht, bis er schließlich mit einer Briefbombe zur Tat schreitet. Ein heute wieder aktuelles Thema, ein eindringlicher Film, in dem Sharlto Copley mit einer schauspielerischen tour de force glänzt.

Nicht unähnlich auf den ersten Blick scheint Michael Sarnoskis »Pig« mit Nicolas Cage, der mit Vollbart und langen Haaren auch optisch Ted Kaczinsky ähnelt, ebenfalls in der Isolation einer Waldhütte lebt, wo er als einzigen Gefährten ein Trüffelschwein duldet, das ihm ein Einkommen sichert. Als dieses eines Nachts entführt wird, bricht er auf in die Großstadt um es zurückzubekommen. Ein Mann nimmt Rache – was man anfangs für eine Variante von »Mandy« halten könnte, dem Eröffnungsfilm des 2018er Fantasy Film Festes, in dem Cage (mit dem gefühlt jeden Monat eine weitere Direct-to-DVD-Premiere erscheint) zeigte, dass er als Kinodarsteller noch nicht abzuschreiben, ist eher ein Gegenstück dazu, bedächtig erzählt, den Raum weitend für die Vergangenheit einer gequälten Seele in der sich Stück für Stück die Geschichte eines Absturzes enthüllt. 

Im walisischen »The Feast« dagegen sind Raum und Zeit konzentriert auf einen einzigen Abend, an dem eine snobistische Familie Nachbarn und Geschäftspartner zum Dinner bittet. Erscheint die kurzfristig als Hilfskraft engagierte junge Frau zu Beginn nicht weniger merkwürdig als die Mitglieder der Familie, so wird der Film zunehmend bizarrer (und blutiger), am Ende darf man vermuten, dass es sich bei der jungen Frau um die Reinkarnation eines Waldgeistes handelt, der Rache nimmt an jenen, die gefrevelt haben, sei es im Umgang mit anderen Menschen wie in der rücksichtslosen Ausbeutung der Natur.

In »Hard Hit«, schließlich ist der Schauplatz ein Auto, in dem ein Bankmanager und seine zwei Kinder gefangen sind – beim Versuch, es zu verlassen, werden unter den Sitzen angebrachte Bomben explodieren. Das Szenario ist geläufig, denn der Film von Kim Changju ist die koreanische Variante eines ursprünglich spanischen Thrillers, den Christian Alvart als »Steig. Nicht. Aus!« bereits vor drei Jahren für das deutsche Kino adaptierte. Im Verlauf der Geschichte wird der Bankmanager vom Opfer zum Täter, weil dies eine Vergeltungsaktion ist: für den Selbstmord der Ehefrau des Bombenbauers, die vor Jahren keinen anderen Ausweg mehr wusste, nachdem die Familie Opfer einer riskanten Spekulation der Bank geworden war. Das unterminiert die Sympathien des Zuschauers allerdings nur begrenzt, weil die Erzählperspektive die des Bankmanagers bleibt. Und das trifft genauso zu auf James Ashcrofts neuseeländischen Thriller »Coming Home in the Dark«, in dem ein Ehepaar samt der beiden Kinder bei einem Picknick in die Gewalt von zwei finsteren Männern gerät. Was anfangs wie pure Lust an der Quälerei durch einen Psychopathen und seinen willigen sidekick aussieht (unterstrichen durch die vielen Zufallsbegegnungen mit Menschen im Verlauf der Autofahrt, die sterben müssen), erweist sich am Ende ebenfalls als gezielte Rachegeschichte für ein Versagen des ehemaligen Lehrers gegenüber einem seiner Schüler – aber auch hier lässt das nur wenig Sympathien für den Antagonisten entstehen, richtet sich dessen immer wieder praktizierte Grausamkeit doch auch gegen Unbeteiligte.

Besser funktioniert die Ambivalenz der Figuren in »Silent Night« von Camille Griffin. Hier versammelt eine Familie Angehörige und Freunde zum Weihnachtsfest. Es kommt zu den üblichen alkoholgeschwängerten Enthüllungen über vergangene Verfehlungen, bis dann die Bombe platzt: es ist das letzte Weihnachten für alle, denn in Kürze wird alles Leben auf dem Planten sterben. Soll man dem Ratschlag der Regierung und ihrer »Die with Dignity«-Kampagne folgen und eine Pille schlucken? Was sagt man den Kindern? Und sollte man zuvor noch immer wieder Aufgeschobenes erledigen? Ein schwarzer Weihnachtsfilm, Gegengift zu all dem Zuckerkram, der dann wieder die Leinwände beherrschen wird.

Der beklemmendste Film allerdings war für mich ein anderer, der norwegische »The Innocents« von Eskil Vogt, von den Veranstaltern als »centerpiece« auch entsprechend gewürdigt. Das »böse Kind« scheint hier gleich zu Beginn identifiziert: Ida, die bei einer Autofahrt ihrer älteren Schwester Anna in den Arm kneift – »sie spürt es nicht« wird sie später zu anderen Kindern sagen und es noch einmal demonstrieren. Anna ist Autistin und bekommt deshalb von den Eltern mehr Aufmerksamkeit als sie, so sieht es Ida. In der Siedlung, in die die Familie gerade gezogen ist, fühlt sich Ida als Außenseiterin und freundet sich deshalb schnell mit zwei anderen Kindern an: Ben und Aisha wachsen beide ohne Vater auf, ihre alleinerziehenden Mütter sind dunkelhäutig. Aisha gelingt es, mit Anna zu kommunizieren, telepathische Fähigkeiten besitzt auch Ben, der stolz Kostproben davon gibt. Doch die verlieren bald ihren harmlosen Charakter und werden von ihm gezielt als Waffe eingesetzt gegen jene, die sie diskriminierten – Todesfälle häufen sich: werden Aisha und Ida zu seinen Komplizinnen oder können sie ihm Einhalt gebieten? Ein Kinostart ist für April kommenden Jahres angekündigt.

Statt der sonst omnipräsenten Zombies gibt es dieses Mal zwei irische Vampirfilme, die Schrecken mit Komik verbinden: in »Boys from County Hell« wird eine lokale Vampirlegende zum Leben erweckt, als Bauarbeiter jenen Steinhaufen, der als Grab des Vampirs galt, plattwalzen. In »Let the Wrong One in« muss Matt seinen älteren Bruder Dace, der gebissen wurde, davor bewahren, ganz zum Vampir zu mutieren. Aber ob das Kaninchen des Nachbarn ausreicht, um dessen Blutdurst zu stillen? Zudem geht es um mehr als um ein Familienproblem. Die Braut, die bei einem Junggesellinnenabend in Transsylvanien gebissen wurde, und ihre Brautjungfern planen nämlich, ganz Dublin zu vampirisieren. Situationskomik und Blutfontänen halten sich in beiden Filmen die Wage. 

Traditionell kommt auch »The Spine of Night« daher, der einzige abendfüllende Animationsfilm des diesjährigen Festivals, in dem die barbusige Heldin und die rotoskopierten Bilder gleichermaßen an Ralph Bakshis »Feuer und Eis« erinnern und der damit eher etwas für Nostalgiker ist. Erzählt wird vom Kampf der letzten Sumpfhexe gegen einen mächtigen Zauberer, der sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen hat. 

Zu den aufwändigeren Filmen gehören in diesem Jahr unter anderem der Eröffnungsfilm »Gunpowder Milkshake« und »OSS 117: From Africa with Love«. Der in den Babelsberger Ateliers und an Berliner Locations (inklusive einiger hübscher Aufnahmen aus dem ICC mit seinem Siebziger-Jahre-Futurismus) entstandene »Gunpowder Milkshake« konfrontiert eine Auftragskillerin mit ihrem Arbeitgeber, der Jagd auf sie machen lässt, nachdem bei ihrem letzten Auftrag der Sohn eines Gangsters zu Tode kam und damit das Gleichgewicht der Kräfte aus dem Ruder geraten ist. Ein crowdpleaser, wie die Reaktionen in Berlin zeigten, der mich aber letzten Endes an die zahlreichen Tarantino-Clones der achtziger Jahre erinnerte, auch wenn es hier Frauen sind, die den Männern zeigen, wer das stärkere Geschlecht ist. Nach diesem Actionspektakel bin ich geneigt, die beklemmenden Qualitäten der ersten beiden Filme des israelischen Regisseurs Navot Papushado, »Rabies« und »Big Bad Wolves« eher seinem damaligen Ko-Regisseur Aharen Keshales zuzuschreiben.

Konventioneller, aber letztlich befriedigender, ist da »OSS 117: From Africa with Love« (mit dem schönen Originaltitel »OSS 117: Alerte rouge en Afrique noire«), in dem Jean Dujardin zum dritten Mal in die Rolle des französischen Super-Agenten Hubert Bonisseur alias OSS 117 schlüpft. Man schreibt diesmal das Jahr 1981 und der Macho alten Stils bekommt es nicht nur mit einer afrikanischen Rebellenführerin, sondern auch mit Floppy Discs zu tun, auf die er nach seiner zeitweiligen Verbannung ins Archiv endlose Listen von Agenten schreiben muss – und wird immer wieder mit der französischen Kolonialgeschichte in Afrika konfrontiert.

Fantasy Film Fest, noch bis 7.11. in Hamburg, Köln und München. 36 Filme plus Kurzfilmprogramm »Get Shorty«.

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