Interview: Gil Kenan über »Ein Junge namens Weihnacht«

Gil Kenan am Set von von »Ein Junge namens Weihnacht« (2019). © Studiocanal

Gil Kenan am Set von von »Ein Junge namens Weihnacht« (2019). © Studiocanal

Mr Kenan, mit Ihren Regiearbeiten »Monster House«, »City of Ember« und dem »Poltergeist«-Reboot sind Sie dem Genre des fantastischen Films treu geblieben. Woher kommt dieses Interesse?

Das geht auf meinen Großvater zurück, auch generell das Interesse am Geschichten erzählen. Mein Großvater wurde in Königsberg geboren, wuchs aber in Berlin auf, er ist jetzt 96 Jahre alt und lebt in Israel, 1936 gelang ihm die Emigration aus Deutschland. Er las mir Kästners »Der 35. Mai« vor, das war sein Exemplar, das er noch aus seiner eigenen Kindheit besaß und das jetzt in meinem Besitz ist. Kulturell ist er noch sehr deutsch, er liest auf Deutsch und sieht deutsche Filme. Deutsche Kultur war immer Teil meines Lebens, nur die Sprache nicht, da verstehe ich nur etwa jedes zehnte Wort.

Dieser Film hat auch einige dunkle Seiten, was bei Weihnachtsfilmen eine Ausnahme ist, die sind ja oft recht süßlich – nach den Feiertagen mag sie deshalb niemand mehr sehen. Gab es damit je Probleme?

Was den Tonfall des Films anbelangt, ist der zunächst einmal das Verdienst von Matt Haigh, der den zugrundeliegenden Roman verfasst hat. Er ist ein Schriftsteller, der keine Angst hat, Helles und Dunkles miteinander zu kombinieren. Das Dunkle lässt das Helle heller leuchten, das hat mich an seinem Buch angesprochen – dass man das Publikum nicht unterschätzt. Ich mag Filme, die ein bisschen erschrecken können, wo der Humor nicht konventionell ist und dennoch genügend Zuschauer finden. Was mögliche Probleme bei der filmischen Umsetzung anbelangt, war das genau der Grund, weshalb ich mit europäischen Produzenten und Studios zusammenarbeiten wollte, denn da gibt es diese Vorbehalte weniger als in den USA, wo man oft meint, man müsse jüngere Zuschauer beschützen – was mich als Kind schon immer geärgert hat. Entsprechend  zuversichtlich war ich, als ich mich an Graham Broadbent und Studiocanal wandte.

Ist er verwandt mit dem Schauspieler Jim Broadbent, der hier ja den König verkörpert?

Nein, das ist nicht der Fall, was ich auch nicht wusste, sondern erst erfuhr, als ich ihn nach Jims Telefonnummer fragte.

Haben Sie selber eine besondere Beziehung zu Weihnachten?

Ich wurde in London geboren. Als ich drei Jahre alt war, gingen meine Eltern zurück nach Israel, wo sie beide geboren waren. Das einzige, was ich aus London mitnahm, war die Vorstellung, am Heiligabend Geschenke zu bekommen. So hielt ich mich in Israel für eine Ausnahmeerscheinung. Ich stellte mir vor, dass Santa Claus nach Europa kam und auf dem Rückweg einen Umweg über Tel Aviv machte, nur um mich zu besuchen. Das glaubte ich, bis ich sieben war – damals erzählte mir die ziemlich grausame Mutter eine Freundes, dass das alles Unsinn sei. Ich habe diese Tradition erst wieder aufgenommen, als ich selber eine Tochter hatte. In meiner Familie wurde Weihnachten nicht gefeiert, es gab auch keinen Weihnachtsbaum.

Visuelle Effekte spielen eine große Rolle in all  Ihren Regiearbeiten. Wie stellen Sie sicher, dass die nicht die Schauspieler dominieren?

Es gibt Möglichkeiten, wie man den Schauspielern helfen kann, dass ihr Spiel die Zuschauer auf einer emotionalen Ebene anspricht, dazu gehört vor allem, dass die Welt, in der sie agieren, sich für sie real und wahrhaftig anfühlt, gerade wenn man es mit einem Fantasystoff zu tun hat. Zusammen mit meinem brillanten Production Designer konnte ich diese Welt fast komplett errichten.

Sie haben diesen Film digital in 70mm gedreht. Wie funktioniert das?

Wir waren einer der ersten Filme, bei denen das gemacht wurde. Wie das Filmnegativ bei einem 70mm-Film größer ist, so ist hier der Sensor größer, man nimmt mehr auf, das ermöglicht einem einen tieferen Fokus, so haben wir angefangen, in Lappland die Landschaft mit ihrem speziellen Licht einzufangen.

War es schwer, den jugendlichen Hauptdarsteller zu finden?

Er war schon bei dem ersten Casting dabei, ich sagte gleich, das ist unser Nikolas. Aber das kam mir zu einfach vor, so begannen wir mit den üblichen Castings, bis wir schließlich zu ihm zurückkamen. Er ist ein Naturtalent und sehr bodenständig.

Der Film ist in Zusammenarbeit mit Netflix entstanden.

Ja, und sie haben soviel Vertrauen in ihn, dass sie ihn zu Weihnachten in Millionen von Haushalte schicken.

Wie sieht es mit dem Kinoeinsatz aus?

Darüber sprechen wir gerade. Deutschland, Australien und Neuseeland sind die einzigen der Länder, wo er nur im Kino zu sehen ist, in anderen Ländern wird es auf Hybrid-Auswertung hinauslaufen. Ich freue mich natürlich, dass der Film im Kino gezeigt wird: wenn es dunkel wird und man nicht weiß, was als nächstes passiert, dann ist das ein einmaliges Erlebnis, bei dem sich eine ganz spezifische Energie aufbaut.

Am selben Tag wie »Ein Junge namens Weihnacht« läuft in den deutschen Kinos auch »Ghostbusters: Legacy« an, bei dem Sie eine Nennung als Co-Autor haben. Gab es je den Plan, dass Sie dabei auch Regie führen?

Nein, ich habe nur meinem Schreibpartner Jason Reitman geholfen. Ich war viel zu beschäftigt mit meinem eigenen Film. Wir haben aber schon den nächsten Film zusammen geschrieben.

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