Interview: Corneliu Porumboiu über »La Gomera«

Corneliu Porumboiu. Foto: Ilya Mauter (Lisbon International Film Festival, 2019)

Corneliu Porumboiu. Foto: Ilya Mauter (Lisbon International Film Festival, 2019)

Herr Porumboiu, in Ihrem Film nutzen die Kriminellen erfindungsreich eine Pfeifsprache, um die Überwachung durch die Polizei zu umgehen.

Damit begann es für mich vor zehn Jahren, als ich eine Reportage über Pfeif-Sprache gesehen hatte. Es gibt ein Dorf in der Türkei, auch eines in Frankreich, insgesamt vierzig auf der ganzen Welt, wo man sich mit Pfeifen verständigt. Auf La Gomera ist sie am ausgefeiltesten, sie gehört sogar zum UNESCO-Welterbe und wird auch in der Schule gelehrt. Es gibt also bestimmte Lehrmethoden, und ich habe mir das auch in den Schulklassen angeschaut. Die Direktorin des zuständigen Amtes hat die Schauspieler trainiert. Mir war also von vornherein klar, dass es nur wenige Plätze auf der Welt gibt, wo man sich nur über Pfeifen verständigt. Ich habe diese Sprache auch als Vor-Sprache angesehen, als archaische Sprache. 

Ein Polizist war schon in »Police, Adjective« die Hauptfigur. Was interessiert sie an solchen Charakteren? Macht und deren Missbrauch?

Ich hatte mir überlegt, dass diese Ideologie nicht andauern kann. Was wird aus diesem Mann zehn Jahre später, total verloren in einer total anderen Welt? Damit habe ich angefangen zu schreiben. Am Ende des Tages ist es dann derselbe Machtmissbrauch wie im ersten Film. Der Polizist ist sogar noch schlimmer als zuvor. Damals hatte er noch die Ansicht, dass man das Böse mit den Wurzeln ausreißen muss. Dieser Charakter verändert sich also. Er kann mit dieser Mentalität nicht bis zum Schluss funktionieren. 

Sie benutzen einmal einen Ausschnitt aus einem rumänischen Kriminalfilm aus dem Jahr 1974. War das ein systemkritischer Film oder ein bedeutender Genrefilm?

Das war ein Genrefilm über einen kommunistischen Polizeioffizier, der am Ende stirbt. Es hatte aber auch für mich eine doppelte Bedeutung, was diese Figur anbelangt. Zum einen war es die Biographie des Charakters, zum anderen war es aber auch eine bestimmte Art von Flucht, die meinen Charakter betrifft. Er sitzt zwischen zwei Stühlen. 

Das Thema der Überwachung sorgt in »La Gomera« für schöne Doppeldeutigkeiten, etwa wenn der korrupte Polizist Gilda informiert, dass seine Wohnung verwanzt ist und sie dann dem Mann, der sie dort beobachtet, etwas vorspielt. Wie im Film noir haben wir es mit Figuren zu tun, die glauben, sie hätten alles unter Kontrolle, was jedoch nicht stimmt. Zudem haben wir eine Femme fatale, die aber am Ende doch nicht in dieser Rolle verharrt. 

Sie versteckt Dinge. Sie baut für sich selbst eine zweite Natur auf., die dann immer wichtiger wurde. Am Schluss ist es eine Flucht. Sie ist diejenige Figur im Film, die die größte Wandlung durchmacht. Sie findet eine Möglichkeit zu fliehen – und dann ist sie jemand anderes.

Ist sie die heimliche Hauptfigur des Films?

Das würde ich nicht sagen, aber sie fällt aus ihrer Rolle.

Beim Thema der Überwachung kann man auch Francis Ford Coppolas »Der Dialog« denken…

Das ist einer meiner Lieblingsfilme. Ich habe aber während des Drehs nicht speziell an ihn gedacht. Natürlich gefällt mir auch »Blow-up« sehr. Ich mag sehr die Filme der 1970er Jahre, auch der 1980er Jahre. Noch mehr aber interessiere ich mich für den klassischen Film noir, für »The Big Sleep«, »Der Malteserfalke«, »Der dritte Mann«, »Die Nacht des Jägers«, auch »Notorious«, weil man da nie weiß, was geschehen wird. Es gibt auch Referenzen an »Das Fenster zum Hof«.

Filmreferenzen tauchen in diesem Film häufiger auf: wenn gegen Ende der Hotelmanager sich mit gezücktem Messer in ein Zimmer begibt, dann hatte das in der Pressevorführung, in der ich den Film sah, ein erkennendes Lachen zur Folge, weil alle an »Psycho« denken mussten. Außerdem spielt John Fords »Der schwarze Falke« eine Rolle. Ich habe den Eindruck, Sie sind ein großer Filmfan?

Es gibt viele Leute, die mehr über das Kino wissen als ich. Ich wollte in diesem Film einige Figuren zeigen, die vom Kino inspiriert sind und damit die Überwachungskameras austricksen können . Wie Gilda, die diese Rolle für sich erfunden hat. Sie spielt die Femme fatale, gegenüber ihrem Boss, gegenüber der Polizei. Sie wusste, dass sie in eine bestimmte Identität, in eine bestimmt Rolle schlüpfen musste. Sagen wir, ich habe einige Kinoliebhaber in meinem  Film. (lacht)

Das Ende, an einem fernen Ort, ist sehr überraschend…

Ich hatte etwas Paradiesähnliches im Kopf. Ich dachte, dass ich diesen Ort nur in Asien finden würde, ich suchte in Shanghai, in Hongkong. Irgendwann entdeckte ich dann diesen Garten, der perfekt war. Im Script hatte ich eine bestimmte Musik vorgesehen, »In-a-gada-da-vida«-ähnlich sollte er sein. Doch sie hatten ihre eigene Musik dort. Die passte für mich am Schluss sogar besser, weil sie mit der Oper verbunden ist, auch wegen des Timings mit dem Licht, das perfekt synchronisiert war. Diese Schlussszene im Garten ist mir also sehr wichtig.

Mit Ihrem Hauptdarsteller Vlad Ivanov, den man in Deutschland auch aus »Toni Erdmann« kennt, haben Sie bereits früher zusammengearbeitet.

Ja, bei »Police, Adjective« spielte er die zweite Hauptrolle. In der Tat führe ich jetzt seinen Charakter fort. Schon von Beginn hatte ich ihn beim Schreiben im Hinterkopf, er wurde also sofort gecastet. Und erst danach habe ich mich um die anderen Schauspieler gekümmert.

Wie war das mit Sabin Tambrea, der in Deutschland bekannter ist? Hat er überhaupt schon mal in Rumänien gedreht?

Dies ist der erste rumänische Film, den er gemacht hat. Zuvor hatte er bei einer rumänischen TV-Serie mitgewirkt. Ich bin im Internet auf ihn gestoßen. Ich wollte jemanden haben, der schon durch seine Körpersprache ausdrückt, dass er ein Rumäne im Ausland ist. Ich lud ihn zum Casting ein, und das hat gut gepasst. Es war ein Vergnügen, mit ihm zu arbeiten.

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