Interview: Armando Iannucci über »David Copperfield«

Armando Iannucci am Set von »David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück« (2019). © Entertainment One

Armando Iannucci am Set von »David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück« (2019).

© Entertainment One

Mr. Iannucci, erinnern Sie Sich noch an Ihre erste Begegnung mit dem Werk von Charles Dickens?

Vage. Ich glaube, das war »Große Erwartungen«, als ich 13 oder 14 Jahre alt war. Ich fand das Buch sehr ungewöhnlich in der Art, wie es von den Niederlagen des Protagonisten erzählte, Das weckte mein Interesse an mehr, ich besorgte mir weitere Bücher aus der Bibliothek. Besonders überraschte mich, wie komisch die waren, denn das ist nicht das Bild von Dickens, das im allgemeinen Bewusstsein verankert ist. 

Haben Sie eine spezielle Vorliebe für »David Copperfield« – oder hätten Sie auch einen anderen seiner Romane verfilmen können?

Als ich »David Copperfield« vor zehn Jahren wieder gelesen habe, stellte ich fest, wie filmisch er geschrieben war, und auch, wie sehr er Themen anspricht, die heute relevant sind. Es gibt den unverlässlichen Erzähler, es geht um Identität, Selbstzweifel und damit verbundene Ängste, um Marginalisierung – ich sah sofort einen Film darin, einen, den ich machen konnte, einen, der nicht notwendigerweise den Konventionen des Kostümdramas folgt. Damals war ich noch mit meiner HBO-Serie »Veep« beschäftigt, dann kam mein zweiter Kinofilm »The Death of Stalin«. Der gab mir die Zuversicht, dass ich ein Kostümdrama machen konnte.  

Verlief die Arbeit ohne größere Probleme oder sahen Sie Sich vor größeren Hindernissen beim Drehbuchschreiben oder bei den Dreharbeiten?

Eigentlich nicht, der Dreh ging eher schnell über einen Zeitraum von zehn Wochen. Beim Schreiben war es natürlich eine Herausforderung, die umfangreiche Vorlage zu einem Zweistundenfilm zu komprimieren. Das verlangt vom Drehbuchautor eine gewisse Kühnheit, sich nicht zu eng an den Text zu halten, nicht jede Wendung der Geschichte zu berücksichtigen – der Film muss für sich selber sprechen. Die Zuschauer sollen nicht das Gefühl haben, sie müssten eine Prüfung über Dickens oder »David Copperfield« abgelegt haben, um ihn (verstehen) zu können. Diese Überlegungen nahmen einen bereiten Raum in meiner Arbeit ein. Dazu kommt auch, dass die Titelfigur im Roman ein eher passiver Beobachter ist – im Film muss er eine bestimmte Energie haben, die die Geschichte vorantreibt. Die sah ich bei Dev Patel, deshalb konnte ich mir auch niemand anderen für die Hauptrolle vorstellen.

Sind Sie jemand, der viel Material verdreht, um im Schneideraum Optionen zu haben?

Ich habe bei diesem Film jedenfalls mehr Zeit für den Schnitt benötigt als bei den beiden früheren Kinofilmen. Die Drehzeit belief sich auch zehn Wochen, der Schnitt aber dauerte sechs Monate. Wir hatten in der Tat viel Material verdreht – das Herz eines Films ergibt sich bei mir erst im Schnitt. 

Planen Sie denn möglicherweise noch eine längere Fassung für die Fernsehausstrahlung?

Nein, die Zuschauer bekommen einen Anfang und ein Ende, der Film ist dafür gemacht, am Stück auf der großen Leinwand gesehen zu werden.

Wie sind Sie auf die kühne Idee gekommen, beim Casting ‚farbenblind' zu sein?

Ich wollte einfach alle Möglichkeiten im Hinblick auf die Schauspieler ausschöpfen – das fand ich auch sehr befreiend. Für das Publikum im Kino schafft das mehr Identifikationsmöglichkeiten, das passt dazu, dass die Geschichte Parallelen zum Heute hat.

Sie haben bei diesem Film nicht zum ersten Mal mit Simon Blackwell als Ko-Autor zusammengearbeitet. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus? Schreiben Sie gemeinsam in einem Raum oder tauschen Sie individuell geschriebene Fassungen aus?

Simon ist genau wie ich ein großer Dickens-Fan, das ist schon mal eine gute Basis. Wir saßen am Anfang zusammen und tauschten Ideen über »David Copperfield« aus, danach lasse ich ihn in Ruhe am Drehbuch arbeiten, das dann elektronisch hin und her zirkuliert zwischen uns, dann treffen wir uns wieder – das haben wir sechs Monate lang gemacht. 

Hatten Sie auch einen Korrekturleser aus den USA, der überprüfte, ob bestimmte Vokabeln oder Redewendungen dort nicht verständlich sind?

Das war kein Problem, die amerikanischen Produktionspartner wollten nur wissen, warum ich gerade diesen Roman verfilmen wollte – meine Antwort überzeugte sie. Mein Drehbuch ist nur der Ausgangspunkt, denn wenn wir drehen, verändert sich viel. Wir machen vorab einen workshop, aber beim Drehen wird auch viel improvisiert. Der Dreh verändert das Buch, der Schnitt verändert das gedrehte Material.

Sie haben zuerst für das Radio gearbeitet, dann für das Fernsehen, schließlich kamen Kinofilme hinzu. Erforderte der Medienwechsel jedes Mal ein Umdenken?

Nicht unbedingt. Beim Radio hat man nur die Sprache, also legt man großen Wert auf ein ausgefeiltes Drehbuch mit perfekten Dialogen. Viel spielt sich in Deiner Imagination ab. Ich wuchs auf mit der Radioversion von Douglas Adams' »A Hitchhiker's Guide to the Galaxy«. Ich weiß, dass es das jetzt auch als Fernsehserial und als Kinofilm gibt, aber die Fantasie, die bei mir durch das Anhören der Radiofassung freigesetzt wurde, ist unvergleichlich.

Könnte man sagen, dass es Ihre Spezialität ist, das komische Element in dramatischen Konflikten zu sehen? Der Tod eines Diktators in »The Death of Stalin«, die Probleme einer amerikanischen Vizepräsidentin in der Serie »Veep«?

Ja, mich interessiert die Konfrontation zwischen Individuen und Institutionen, der Umgang mit der Macht, besonders wenn die Macht missbraucht wird – in »David Copperfield« ist das vor allem die Macht der Familie. 

»David Copperfield« ist mit britischen Schauspielern besetzt, bei »The Death of Stalin« war sie international…

Das passte für mich zur Sowjetunion, die ja auch aus ganz verschiedenen Ethnien bestand. Zudem wollte ich Schauspieler mit unterschiedlichen Hintergründen haben, vom reinen Filmschauspieler bis zum klassischen Theaterschauspieler.

Gibt es Themen, bei denen Sie keine komische Seite sehen oder die Sie nicht komisch angehen würden? 

Bei den Gesprächen zu »»The Death of Stalin« mit ganz unterschiedlichen Zuschauern habe ich die Erfahrung gemacht, dass das akzeptiert wurde – gerade weil die Situation so absurd war, liegt ihr komisches Potenzial auf der Hand. Solange ich einen Witz machen kann, hat mich eine tragische Situation nicht im Griff! 

Wird es eine zweite Season Ihrer HBO-Serie »Avenue 5« geben?

Die schreiben wir noch, sie soll im November gedreht werden. Darin wird auch einiges vom jetzigen Präsidenten der USA einfließen.

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