Fuck the digital world!

Ein gelungener Dominik-Graf-Interviewband anlässlich der TV-Serie »Im Angesicht des Verbrechens«

Das Buch hält mehr, als sein Titel verspricht. In dem Interviewband, in dem der Regisseur Dominik Graf und viele seiner Mitarbeiter zu Wort kommen, geht es
nämlich nicht nur um das gleichnamige TV-Epos, sondern um die technischen, ökonomischen und ästhetischen Probleme deutscher Filmproduktion generell. Den
Hauptteil des Buches bilden Gespräche des Herausgebers Johannes Sievert mit Graf, die den Leser Anteil nehmen lassen an der Arbeit eines Regisseurs von
der Drehbuchentwicklung über die Dreharbeiten bis zur Postproduktion. Eingebettet in genaue Schilderungen etwa der Budgetkalkulation, der Gestaltung von
Actionsequenzen und der Auflösung einzelner Szenen finden sich überdies schöne Schmähreden gegen den zeitgenössischen Geschmack am Sauberen, Verständlichen und Liebeserklärungen an eine lebendige, unperfekte Art des Kinos. Dahinter verbirgt sich nicht die schlechte Laune eines Ewiggestrigen, sondern der ungebrochene Esprit eines seit 35 Jahren tätigen Filmhandwerkers, der zu überzeugt ist von den Möglichkeiten des Kinos, um sie für jede Wendung des Zeitgeistes gleich wieder aus dem Fenster zu schmeißen. Was Graf vor allem vermisst, in den Lehrplänen der Filmhochschulen und in den deutschen Kino- und TV-Filmen, sind gründliche Kenntnis der Filmgeschichte und ein Gespür für die Arbeit mit Schauspielern. Graf liebt seine Mimen, immer wieder kehrt das Gespräch zu ihnen zurück. Und immer wieder erzählt Graf davon, Jean Renoir zitierend, wie wichtig es ist, während der Dreharbeiten »eine Tür offen zu lassen, damit die
Wirklichkeit eintreten kann«. Aus diesem Grund ist Graf alles Überkonzeptionierte, komplett Ausgeleuchtete suspekt, und er ist am besten, wenn er die Tricks
schildert, mit denen ein Regisseur das Überraschende Teil seines Werks werden lassen kann. Auch Skeptiker der neuen, digitalen Bilderwelten werden ihre Freude an dem Buch haben.
»Fuck the digital world!«, sagt Graf an einer Stelle, und an anderer: »Schallplatten sind besser als CDs. Genauso ist es mit dem Filmbild, der alten Kino-Positiv-Kopie gegenüber der DVD, ob Blue-ray oder nicht. Sie ist farbechter, haltbarer, sie ist Materie, nicht Pixel. Das weiß ja auch jeder.« Schön,
dass es mal jemand in aller Deutlichkeit sagt.

Volker Hummel

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