Kritik zu Waldheims Walzer

© Salzgeber

2018
Original-Titel: 
Waldheims Walzer
Filmstart in Deutschland: 
04.10.2018
L: 
93 Min
FSK: 
6

Ruth Beckermann rekapituliert mit viel Archivmaterial die Auseinandersetzungen um Kurt Waldheims Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten 1986. ­Parallelen zu heutigen Geschehnissen ergeben sich wie von selbst

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Zufälle geschehen einfach, ganz ohne geheimen Plan. Selbst wenn einer sich später als perfekt getimter Glücksfall entpuppt. Genau so ein Moment ist der Ursprung von Ruth Beckermanns Essayfilm »Waldheims Walzer«. Im Frühjahr 1986 gehörte die Filmemacherin zu den Aktivisten, die versucht haben, die Wahl von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten zu verhindern. Mit ihrer Kamera hat sie die Strategietreffen ihrer Gruppe ebenso dokumentiert wie Demonstrationen und Wahlkampfveranstaltungen in Wien.

Beinahe 30 Jahre später hat Beckermann die VHS-Kassetten, auf die sie damals das so entstandene Material überspielt hatte, wiederentdeckt. In einer Zeit also, in der Waldheims Kandidatur wie ein Vorspiel zu den aktuellen Ereignissen wirkt. Angesichts der Erfolge von Donald Trump, Marine Le Pen, der AfD in Deutschland und einer Koalition von ÖVP und FPÖ in Österreich bekommen die Kontroversen um den ehemaligen UNO-Generalsekretär tatsächlich noch einmal ­eine andere Bedeutung.

Auf der einen Seite illustriert Beckermann mit ihren eigenen Videoaufnahmen, die sie mit internationalem Bild- und Nachrichtenmaterial aus dem Jahr 1986 verknüpft, das Ende der großen österreichischen Lebenslüge, Österreich und seine Bevölkerung seien die ersten Opfer des Expansionsstrebens der Nationalsozialisten gewesen. Auf der anderen zeichnet sie einen gesellschaftlichen Rechtsruck nach, der die weltweiten Entwicklungen unserer Zeit wenn nicht vorwegnimmt, so doch zumindest ankündigt. Wer wissen will, warum der Kandidat der FPÖ 2016 fast österreichischer Bundespräsident geworden ist und wie es zu der Regierung Kurz-Strache kommen konnte, sollte nicht nur auf die Ereignisse des Jahres 2015 schauen.

»Waldheims Walzer« hat etwas von einer Zeitkapsel. Das gesamte Material stammt aus dem Jahr 1986, das einem so wieder ganz nahekommt. Waldheims Leugnungen und Lügen über seine Zeit als Offizier der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und seine Verstrickungen in Kriegsverbrechen lassen noch einmal das Österreich lebendig werden, das sich einer kritischen Auseinandersetzung mit seiner Rolle während der NS-Zeit verweigert hat. Die »Waldheim nein!«-Rufe, die in Beckermanns Film erklingen, sind auch Rufe für ein Österreich, dass sich seiner Vergangenheit stellt. Waldheims Wahl konnten die Aktivisten nicht verhindern, aber das Land haben sie mit ihren Aktionen dennoch verändert. Insofern gibt einem der Film auch Anlass zur Hoffnung.

Allerdings zeugen die Männer, Frauen und Kinder, die für Waldheim auf die Straße gegangen sind und sich von den antisemitischen Ausfällen einiger mächtiger FPÖ-Politiker aufpeitschen ließen, auch deutlich von den Mechanismen populistischer ­Propaganda. Es sind keine glatzköpfigen Neonazis, die auf die Anti-Waldheim-Aktivisten losgehen, sondern biedere Bürger. Meist halten sie ihre Ressentiments unter Kontrolle. Kippt die öffentliche Stimmung jedoch nach rechts, lassen sie ihnen sofort freien Lauf. So erweist sich Beckermanns Film als eindringliche und gerade heute wieder aktuelle Illustration von Brechts Diktum: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.«

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