Kritik zu Untitled

© Real Fiction Filmverleih

Der österreichische Filmemacher Michael Glawogger verstarb 2014 während der Dreharbeiten zu seinem neuen Dokumentarfilmprojekt in Afrika. Die Cutterin Monika Willi hat aus dem zurückgebliebenen Material einen Film gemacht, der seinen Ideen treu bleibt

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Der Film sollte Michael Glawoggers Lebensprojekt werden, ausgesponnen während langer Jahrzehnte und konkret angedacht bei einer Bahnfahrt durch Mexiko für einen anderes Projekt, wie der Regisseur selbst im Film erklärt. Ein Dokumentarfilm ganz ohne »Thema« sollte es werden, einer, der sich ganz für sich selbst ohne Ziel ein Jahr lang auf die Reise in die Welt begibt. »Der schönste Film, den ich mir vorstellen kann, ist einer, der nie zur Ruhe kommt«, war Glawoggers Credo für sein »ultimatives Projekt«. Dass der Film dann aber auch in ganz anderem Sinn endgültig werden sollte, war nicht geplant.

Denn die Reise, zu der der Filmemacher im Dezember 2013 mit Kameramann Attila Boa und Manuel Siebert (Ton) aus Österreich über den Balkan und Italien nach ­Afrika ­aufbrach, wurde zu seiner letzten Fahrt. Am 22. April 2014 starb er in Liberia an einer falsch diagnostizierten und behandelten Malaria: mit nur 54 Jahren ein dramatisch früher Tod, aber auch ein angemessener Abschied für einen Filmemacher, den es zwischen den meist heimatnah angesiedelten fiktionalen Arbeiten für groß angelegte Dokumentarfilme wie »Megacities« oder »Workingmen's Death« immer wieder zu filmischen Extremabenteuern in die weite Welt zog.

Siebzig Stunden Material blieben aus diesem unvollendeten Filmprojekt zurück, die in drei Jahren Arbeit von der österreichischen Schnittmeisterin Monika Willi zu einem Film montiert wurden, der der ursprünglichen Planung wohl sehr nahe kommt, nun aber mit dem Abschied von Glawogger doch ein Thema aufgedrückt bekam. Und während dessen bisherige dokumentarische Arbeiten durchweg kommentarlos blieben, spricht in »Untitled« die wohltuend zurückhaltende Stimme der Schauspielerin Birgit Minichmayr ausgewählte Passagen aus den meist ebenso zurückhaltend in der dritten Person gehaltenen Drehtagebüchern des Regisseurs. Dazu kommt eine gezielt eingesetzte Soundcollage des Musikers Wolfgang Mitterer, die Fragmente unterschiedlicher Ritualgesänge mit verfremdeten Originalklängen mischt.

Menschen und Orte zuordnende Bauchbinden gibt es nicht. Die Bilder von Attila Boa reichen von scheinbar beiläufig aufgenommenen Alltagsbeobachtungen bis zu durchkomponierten Auftritten, gerne in Zentralsymmetrie; von langen Kamerafahrten entlang kriegsbeschädigter Einfamilienhäuser irgendwo in Exjugoslawien zu afrikanischen Männern, die aus existenziellen oder sportlichen Gründen miteinander kämpfen. Grabbesuche, Tänze, eine Predigt, eine Mutter, die ihr Kind füttert. Und immer wieder auch Tiere, manchmal frei wie die gewaltigen Vogelschwärme, die Anfang und Ende des Films markieren. Meist aber von Menschen gefangen gehalten in Käfigen oder Schlingen, wie zwei mit den Hufen im Boden angebundene Esel, die versuchen, miteinander zu kämpfen.

Wenig überraschend gibt es auch die von Glawogger bekannten überwältigenden Pathosbilder: weiße Pferde vor felszerklüfteter Berglandschaft. Oder ein Eisenbahnzug enormer Länge, der langsam durch die Wüste ruckelt und auf dem oben zwischen Umzugskartons Menschen hausen. Dennoch wirkt »Untitled« in der Gesamtheit weniger plakativ als die letzten Dokumentarfilme Glawoggers, die oft an ihrem gewaltigen Anspruch zu ersticken drohten. Ganz nach Glawoggers ursprünglichem Konzept ist »Untitled« ein rundum bewegter Film geworden, in dem sich immer wieder neue Entdeckungen machen lassen.

Auch um die Freiheit, sich in Gefahr zu begeben, geht es in den für den Film von Willi ausgewählten Texten. Und um die von Glawogger herbeifantasierte (und dann auf ungeahnte Weise Realität gewordene) Möglichkeit, irgendwo in der Weite des afrikanischen Kontinents zu verschwinden. Zuletzt in der Stadt Harper in Liberia, der letzten Station der Reise. »Nirgends ist nichts, auch hier nicht. Aber das Nichts war hier schon ganz nahe«, steht am Ende in weißen Buchstaben auf dem Bild, das eine Frau an der Meeresbrandung zeigt. Und dann umgekehrt Schwarz auf Weiß »JUNGLE OF EDEN GARDEN OF HELL«.

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