Kritik zu Tage die bleiben

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Trauerfilme sind heikel, weil sie unmittelbar an die eigenen Erlebnisse des Zuschauers appellieren und fast zwangsläufig eine Art Moral vor sich hertragen. Eine große Aufgabe für ein ernst zu nehmendes Filmdebüt

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Ein schöner Tod, denkt man unwillkürlich, als der Crash (Geräusch) vorüber und die Frau am Steuer wie durch ein Wunder unversehrt geblieben ist und mit den etwas verwundert dreinblickenden Augen Lena Stolzes starr von der Leinwand herabschaut. Ein Blütenmeer überschwemmt das schöne Gesicht, Zeitlupe signalisiert Ewigkeit. Ein Bild, das man nicht vergisst. Ihre Familie, die pubertierende Tochter, noch Schülerin, der Sohn, der aus dem fernen Berlin anreist, wo er sich als Schauspieler durchschlägt, ihr Mann, der sie kurz vor dem Unfall zur Preisverleihung ihres ersten Romans begleitet hatte und den Aufprall miterlebt hat, kommt nach und nach ins Bild. Eine ziemlich zerrüttete Familie, wie sich schnell herausstellt: die Eltern gingen schon länger getrennter Wege, die Kinder, vor allem die junge Elaine, haben darunter gelitten und leiden noch. Die Tage, die bleiben, sind diejenigen, die jetzt anstehen; der Filmauftrag besteht darin, sich den Zerwürfnissen der letzten Jahre zu stellen und die Familie – wenn auch in Trauer – wieder zusammenzuführen. Das schöne Gesicht der ersten Einstellung sucht eine Berechtigung und wird sie finden. Aber ob der Optimismus, der von Anfang an hinter der Geschichte steht, unbedingt realitätsnah ist, ob sich jahrelang eingefahrene ungute Familienverhältnisse in drei, vier Tagen wieder einrenken lassen – dieser berechtigte Zweifel soll wohl von der Genrebezeichnung »Tragikomödie « aufgefangen werden.

Ein hoher Anspruch steht hinter Thema wie Umsetzung dieses Debütspielfilms von Pia Strietmann, keine Frage. Sechs Jahre lang soll sie an dem Drehbuch gearbeitet haben, das viele Erzählstränge parallel entwickelt. An der Spitze steht ein ziemlich verrücktes Freundinnenduo, Elaine und Merle (Mathilde Bundschuh, Lucie Hollmann), das wie ein roter Faden durch den Film unterwegs ist, um für die Schule eine Umfrage über das Erektionsverhalten junger und alter Männer zu machen – ein bisschen zu abgedreht für einen Trauerfilm. Dahinter scheint aber auch der Ehrgeiz zu stecken, möglichst viele absurde Lebenssituationen zu kreieren und dadurch Erzählreichtum zu entfalten. Wunderbar, einerseits; andererseits überzeugt das feinfühlige Zusammenspiel erst so richtig in der Schlussszene bei der Beerdigung. Dann werden die vielen Erzählfäden an einem Ort zusammengeführt und plötzlich funktioniert das Ping-Pong-Spiel ganz reibungslos, das in den Einzelszenen so oft enttäuscht.

Pia Strietmann hat ihren Film entlang von Trauererlebnissen in der eigenen Familie entwickelt und diesen dann auch in ihrer Heimatstadt Münster gedreht, von der man gern etwas mehr gesehen hätte. Aber ihre Konzeption des Cinemascopefilms verlangte Nähe, große Gesichter, Augen-Blicke, und gewinnt auch da an Dichte, wo man ganz nah dran ist, wo Anteilnahme aufkommt, wo man tief in neue Gesichter blickt, die vom Fernsehen noch nicht abgenutzt sind. Dieser insgesamt ambivalente Filmeindruck steht dann auch im Widerspruch zur Zielgeraden von Drehbuch und Regie, die das System »Familie« unbedingt wieder geradebiegen und den Gutmenschen an die Rampe stellen wollen. Warum eigentlich?

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