Kritik zu Pearl

© Universal Pictures

Eine junge Frau flüchtet in Kinoträume: Ti West hat ein Prequel zu seinem  letztjährigen Splatterfilm »X« gedreht, wieder mit Mia Goth in der Hauptrolle

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Pearl träumt sich fort aus einer unwirtlichen Gegenwart. Man schreibt das Jahr 1918, auf einer Farm in Texas wartet sie auf die Rückkehr ihres Ehemannes aus dem Krieg. Ihr Vater sitzt nach einem Schlaganfall reglos im Rollstuhl und benötigt eine Rundum-Betreuung, die Mutter ist verbittert und streng gegenüber Pearl, die die Zeit nach den Einkäufen im örtlichen Kino verbringt und sich auf der Leinwand imaginiert. Schon zu Beginn des Films äußert sie im Selbstgespräch »Eines Tages wird die ganze Welt meinen Namen kennen – ich bin etwas Besonderes!«

Wird der Filmvorführer ihr dabei helfen? Er billigt ihr Starqualitäten zu – aber vielleicht bezieht sich das nur auf solche Filme wie den, den er ihr dann vorführt; einen »stag«-Film, einen frühen kurzen Porno, den er aus seiner Soldatenzeit in Europa mitgebracht hat – und in dem er die Zukunft des Kinos sieht. 

Spätestens an dieser Stelle erinnert sich der Zuschauer, der im vergangenen Jahr den Film »X« gesehen hat, an die Zusammenhänge. In »X« mietete sich 1979 eine Gruppe junger Leute auf einer abgeschiedenen Farm ein, um dort einen Pornofilm zu drehen. Doch vor Drehschluss waren alle von ihnen tot – bis auf eine, die Stripperin Maxine, die ebenfalls vom Leinwandruhm träumte. Sie entging als einzige dem alten Besitzerehepaar der Farm, das sich als zunehmend (mord-)lüstern herausstellte. Regisseur Ti West besetzte die Rollen von Maxine und der alten Pearl mit derselben Schauspielerin, diese Dopplung erlaubte eine Reflexion über den Zusammenhang zwischen Sex und Gewalt; mit »Pearl« kommt jetzt das Prequel in die Kinos – die frühen Jahre eines Monsters.

Ein zweiter Fluchtweg eröffnet sich: Von ihrer Schwägerin Mitsy erfährt Pearl, dass in wenigen Tagen ein Vorsprechen für ein Bühnenstück stattfinden wird. Im leuchtend roten Kleid, das sie dazu trägt, manifestiert sich ihr Traum, bei ihrem Vortanzen weitet sich die Szenerie, sie wird Teil einer Chorusline, während auf der Leinwand dahinter Soldaten aus den Schützengräben hervorkommen. Da nutzt der Film sein Scopeformat ebenso wie in einigen intimen Zweierszenen, wo er so nahendes Unheil ankündigt.

Aber es klappt nicht mit der Talentprobe, Pearl ist am Boden zerstört. Als Mitsy ihr Trost zuspricht, verfällt Pearl in einen langen Monolog (gefilmt in einer einzigen Einstellung), mit dem sie eine Art Beichte ablegt. Der müssen natürlich auch Taten folgen . . .

Wo »X« in seiner Ästhetik an Lowbudget-Horror wie »The Texas Chainsaw Massacre« erinnerte, knüpft »Pearl« an klassische Technicolorfilme an, zumal an »The Wizard of Oz«, der mehrfach zitiert wird, auch eine Vogelscheuche kommt hier vor – die eignet sich Pearl in einer Szene auf etwas verstörende Weise an. Wo Mia Goth in »X« durch ihre Doppelrolle imponierte, da gelingt ihr hier die Gratwanderung zwischen einem Monster und einer Figur, der man ein gewisses Verständnis nicht versagen kann. Trotz der Splatterszenen erzählt »Pearl« in erster Linie das Drama seiner Protagonistin.

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