Kritik zu The Girl King

© NFP

Eine aufregend moderne Geschichte im Gewand eines Kostümfilms: Mika Kaurismäki nähert sich der Ausnahmebiografie der schwedischen Königin Kristina

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Mika Kaurismäki fühlt sich als Weltenbummler mit finnischen Wurzeln. Afrika, vor allem aber Südamerika, wo er jetzt lebt, beschäftigten ihn in seinen letzten Filmen. »The Girl King«, ein in englischer Sprache gedrehtes Historienstück über die legendäre schwedische Königin Kristina im 17. Jahrhundert, markiert nun die Rückkehr zu einem europäischen Sujet. Die Geschichte der Gründerin mehrerer Universitäten fügt sich trotz des fremden Genres gut in Kaurismäkis Gesamtwerk, in dem Multikulturalität und gesellschaftliche Transformationsprozesse eine große Rolle spielen.

»The Girl King« bietet das Augenfutter eines opulenten, in realistischem Look gehaltenen Kostümfilms. Das konzise Drehbuch des Kanadiers Michel Marc Bouchard interpretiert die historische Figur und ihr Liebes- und Identitätsdrama als Urszene der Moderne, in der sich Kristina von den Glaubensimperativen des patriarchalisch-christlichen Weltbildes emanzipiert und ihre Subjektivität entdeckt. Nicht zuletzt werfen ihre Regentschaft, vor allem ihr Einfluss auf den Westfälischen Frieden, Schlaglichter auf die politischen und kulturellen Transformationen in Europa am Ende des verheerenden 30-jährigen Krieges.

Der Film konzentriert sich auf die Ära zwischen 1644 und 1654, in der die Königstochter ihrem Vater Gustav II. Adolf auf dem Thron nachfolgte. Als Kind nach dessen Tod aus der Umklammerung der psychisch labilen Mutter gelöst und im Haus des Reichskanzlers Johan Oxenstierna als Vatertochter erzogen, fordert die junge Freidenkerin nun den erzkonservativen protestantischen Hof mit ihren eigenwilligen Entscheidungen heraus. Sie will Frieden, schickt aber Truppen gegen Wallenstein, um Prag und seine Schätze, da­runter eine obskure Teufelsbibel, zu erobern.

Mika Kaurismäki inszeniert Kristina (Malin Buska) als gebildete und machtbewusste junge Frau. Sie ist in »männlichen Tugenden« wie dem Reiten und Fechten ausgebildet, fühlt sich jedoch ihren zweifelnden Gefühlen ausgesetzt und sucht Rat bei dem Philosophen René Descartes (Patrick Bauchau).

Anders als Greta Garbo in Rouben Mamoulians »Königin Christine« kämpft Kaurismäkis Protagonistin gegen innere Dämonen. In einer dramatischen Szene wird sie mit ihrem Trauma, dem Todeswunsch ihrer Mutter (Martina Gedeck), konfrontiert. Kristina soll zur Heirat überredet und an ihre Gebärpflicht erinnert werden, doch zwischen den Frauen explodiert – furios gespielt – der Hass. Die depressive Mutter vor Augen, wehrt die Tochter das patriarchalische Gesetz ab und steigert sich stattdessen in die leidenschaftliche Liebe zu der schönen Hofdame Ebba Sparre (Sarah Gadon) hinein.

»The Girl King« verknüpft Mutmaßungen über Verschwörungen am Hof und den Gifttod ihres Gastes René Descartes mit den überlieferten Fakten um Kristinas schmerzvollen Abschied von Ebba zu einem dichten Spektakel. Am Ende bleibt sie ein Rätsel, diese begnadete Exzentrikerin, die nach ihrer Abdankung ausgerechnet in Rom im Zentrum der Gegenreformation ein neues Leben beginnt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Der jüngere Bruder von Aki hat einen pompös ausgestattetes, detailliert recherchiertes Kostümdrama gemacht, ein Biopic der schwedischen Königin Kristina (Malin Buska). Er hat die junge Frau in ihrer ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit gezeigt. Von der Thronbesteigung der Sechsjährigen, über die Widerstände gegenüber ihrer Mutter Maria Eleonora (Martina Gedeck) und diplomatische Verwicklungen mit dem französischen Botschafter Pierre Hector (Hippolyte Girardot). Als Kanzler steht ihr Axel Oxenstierna (Michael Nyqvist) beratend zur Seite, von dem sie sich zunehmend emanzipiert. Auch die Zuneigung zu Graf Johan Oxenstierna (Lucas Bryant) hat nur leicht am Image der jungfräulichen Königin gekratzt, als sie sich Gräfin Ebba (Sarah Gadon) als Zofe an den schwedischen Hof und als Wärmflasche ins königliche Bett holte. Damit betonte sie ihre Eigenständigkeit, die auch vor einem Skandal nicht zurückschreckte. Ihre überdurchschnittliche Intelligenz bewies sie im Gespräch mit Descartes. Die Regie macht noch eine optische Verbeugung vor Rembrandt und seinem Dr. Tulp. Ihre Konversion zum katholischen Glauben bleibt ein erster Schritt in Richtung Abdankung.
Beachtlich, wenn auch nordisch unterkühlt.

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt