Kritik zu Endstation der Sehnsüchte

© Zorro Film

Die in Deutschland lebende südkoreanische Regisseurin Sung-Hyung Cho hat mit »Full Metal Village« schon einmal einen Heimatfilm der ganz anderen Art gedreht. Für ihr neuestes Werk ging sie nach Südkorea

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

In den sechziger Jahren wurde der Heimatfilm zum Synonym für die gewaltsame Ausblendung deutscher Geschichte. Ob »Jagdszenen aus Niederbayern« von Peter Fleischmann (1968), »Heidenlöcher« von Wolfram Paulus (1985) oder »Heimat« von Edgar Reitz (1989- 2000), die neuen, kritischen Heimatbilder hinterließen ihre Zuschauer als Heimatlose im eigenen Land. Wenn heute jemand in Deutschland einen dokumentarischen Heimatfilm dreht, der Konservative und Anarchisten glücklich macht, muss sich einiges verändert haben.

Der erste Heimatfilm der gebürtigen Südkoreanerin Sung-Hyung Cho zeigte die stupende Harmonie im »Full Metal Village«. Der deutschen Sprache mächtig, doch fremd genug, um sich ein ergiebiges Staunen bewahrt zu haben, ließ Sung-Hyung Cho sich erklären, wie das funktioniert, wenn Tausende von Freaks zum größten Heavy-Metal-Festival Deutschlands ins Dörfchen Wacken pilgern. Die entspannte Atmosphäre, in der Lederjungs und Häkelomas sich zuzwinkern, wurde zum Kult. Geht doch, deutsch zu sein und eine Heimat zu haben, unter der alle etwas anderes verstehen.

Für ihren neuen Dokumentarfilm hat sich die vielfach mit Preisen ausgezeichnete Regisseurin in ihre alte Heimat begeben. In Südkorea untersucht sie das Paradox einer zweifachen Entwurzelung, das am Heimatgefühl ehemaliger südkoreanischer Auswanderinnen zehrt, die mit ihren deutschen Ehemännern mittlerweile ein kulturübergreifendes Vorzeigemodell bewohnen. Young-Sook und Armin Theis, Woo-Za und Ludwig Strauss-Kim, Chun-Ja und Willi Engelfried haben sich nach ihrer Pensionierung darauf eingelassen, nach Dogil Maeul, ins sogenannte Deutsche Dorf zu ziehen. Bei der Anfahrt in die exotische Idylle der roten Ziegeldächer und gepflegten Vorgärten, macht die Kamera deutlich, wie skurril das Deutsche Dorf Südkoreanern erscheint. Austauschbare Hochhäuser und gleichförmige Autobahnen führen nach Dogil Maeul und erzählen vom Traditionsverlust, den auch die in ihrer Heimat verbliebenen Südkoreaner erfahren haben. Was Wunder, dass die »Langnasen-Opas« und ihre interkulturell verzweifelnden Ehefrauen ebenso zur fatalen Anziehungskraft des Dorfes beitragen wie die von den Deutschen hergestellten Vollkornbrote. Busladungen südkoreanischer Wochendausflügler stapfen so hemmungslos durch die Domäne deutschen Ordnungssinns, dass eine der Geplagten die Polizei holt.

Die schlimmsten Verfolger sind unsichtbar und besetzten das Gedächtnis. Die drei ehemaligen Krankenschwestern, die ihre Träume gegen einen Job in Deutschland eintauschten, können das Korea ihrer Jugend nicht vergessen. Die Diktatur, die sie zurückgelassen haben, spiegelt sich in Erinnerungen an brutale Ehemänner und Kinder, die zurückzulassen man sie zwang. »Nachts weinen, morgens arbeiten gehen. So war das.« Nun, da sie im Alter mit einer einheimischen Laxheit konfrontiert sind, denen einige der über 70-jährigen Ehemänner mit Geduld, andere mit Empörung begegnen, fehlt ihnen diese tränengetränkte Ersatzheimat.

Von den weitgereisten Ehemännern bestehen vor allem Ludwig und Armin auf dem Geschmack des Vertrauten, auch wenn sie dafür selbst Würste stopfen müssen. Willi Engelfried lässt sich auf die Würze des Unbekannten ein, tanzt in einer koreanischen Trachtengruppe und preist sein Dasein als Urlaub. Koreanisch kann auch Willi nicht. Wie wird man heimisch, wenn man zu groß ist für die (Sauna-)Tür zum neuen Paradies? Humorvoll, liebevoll, vorurteilslos zugewandt wie ihr erster Film, ist »Endstation der Sehnsüchte« dennoch eine Re-Vision der durchtanzten Heimatabende im »Full Metal Village«. Ist es wirklich und überall von Vorteil, wenn jeder unter Heimat etwas anderes verstehen kann? Sung-Hyung Chos Filme profitieren von ihrem eigenen delikaten Unzugehörigkeitsgefühl, das sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein lässt, also immer dazwischen. Dass ein derart gelungener Dokumentarfilm auch Glück und Geduld braucht, beweist eine Einstellung am Anfang. Langsam müht sich ein alter Koreaner den Berg zum Deutschen Dorf hinunter, schlurft an der Kamera vorbei und sagt: »Na, vermesst ihr etwas?« Das kann man wohl sagen.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt