Kritik zu Divertimento – Ein Orchester für alle

© Prokino

Marie-Castille Mention-Schaar erzählt von zwei jungen Frauen, die gegen alle Widerstände ihre Leidenschaft leben. Nach einer wahren Geschichte

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Von der verbindenden Kraft des gemeinsamen Musizierens erzählten zuletzt viele Filme, insbesondere Dokumentationen. In fiktionalen Geschichten ging es dann vor allem um die zerstörerische Kraft der individuellen Leidenschaft und des krankhaften Ehrgeizes. Die Französin Marie-Castille Mention-Schaar stellt nun mit »Divertimento« sowohl den lebensfrohen Dokus als auch den destruktiven Dramen eine emotional berührende und motivierende Geschichte gegenüber, von wahren Begebenheiten inspiriert. Denn, so sagt die Regisseurin: »die Realität ist stärker, als das, was man sich ausdenken kann.«

Als Kinder algerischer Einwanderer wachsen die Zwillinge Zahia und Fettouma Ziouani in den 1990er Jahren in einem Banlieue von Paris auf. Ihre Eltern vermitteln ihnen Disziplin, Mut, Selbstbewusstsein und die Liebe zur klassischen Musik. Zahia, eine hochtalentierte Geigerin, träumt davon, Dirigentin zu werden, ihre zwei Minuten jüngere Schwester ist eine nicht minder talentierte und leidenschaftliche Cellistin. 

Zunächst in ihrem Vorort ausgebildet, besuchen sie als 17-Jährige schließlich die Abschlussklasse des renommierten Lycée Racine in Paris. Dort schlägt ihnen unmittelbar Rassismus, Frauenfeindlichkeit und soziale Arroganz entgegen. Doch vor allem Zahia lässt sich davon nicht beirren. Vom ersten Tag an stellt sie sich selbstbewusst und mit einer gewissen Strenge vor die Orchesterklasse. Damit beeindruckt sie irgendwann sogar den Stardirigent Sergiu Celibidache. 

Mention-Schaar hat sich von der wahren Geschichte dieser Schwestern inspirieren lassen, hat eng mit ihnen zusammengearbeitet. Zahias Traum, ein eigenes Orchester zu gründen, das soziale Barrieren überwindet, Kindern und Jugendlichen aus ihrem Vorort Stains den Zugang zur klassischen Musik ermöglicht, erfolgreich als Dirigentin zu arbeiten, erzählt sie wenn auch konventionell so doch mit ebenso viel Leidenschaft wie die ihrer Protagonistinnen. Dafür gibt sie der Musik viel Raum, den sorgsam ausgesuchten Werken von Haydn und Saint-Saëns, von Ravel und Prokofjew. 

Sie lässt Zahia überall Rhythmen und Strukturen entdecken, im Teigschlagen der Mutter, im Rattern der Vorstadtbahn, in Stahlgerüsten und Schienen. Und Mention-Schaar fokussiert sich einzig auf ihre Figuren, allen voran Zahia (Oulaya Amamra) und Fettouma (Lina El Arabi), geht ganz nah ran an ihre Gesichter, um die Freude, die Demütigungen, die Anspannung einzufangen. Überragend füllen diese beiden Schauspielerinnen ihre Rollen aus. Niels Arestrup gibt den Dirigenten Celibidache, der unter anderem von 1945 bis 1952 die Berliner Philharmoniker leitete, als unbarmherzigen wie ermutigenden Lehrmeister. 

»Divertimento« ist ein beeindruckendes Plädoyer für Mut und Leidenschaft, für Toleranz und den Glauben an die eigenen Träume, und es ist die Geschichte eines Empo­werments zweier Frauen in einer misogynen, rassistischen und von sozialer Ungleichheit geprägten Welt.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt