Kritik zu Der Stern von Indien

© Tobis

Gurinder Chadha (»Bend it Like Beckham«) widmet sich in der Form eines ­Upstairs-Downstairs-Dramas einem traumatischen Ereignis der indischen ­Geschichte: der Teilung des Landes in der Stunde der Unabhängigkeit

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Plötzlich steht der Kammerdiener mit gezücktem Messer vor Lord Mountbatten. Doch dann lässt er die Waffe fallen und verflucht den Vizekönig: Für das, was er Indien angetan hat, möge er bis an sein Lebensende keine ruhige Minute mehr finden. Die Szene hat die Wucht einer griechischen Tragödie. Lord Mountbatten liebt das Land nämlich über alles. 1947 kam er nach Indien, um zu verhindern, was in seinem Namen geschehen sollte. Nun trägt die Teilung des Landes in Indien und Pakistan ausgerechnet seinen Namen: »Mountbattenplan«.

Zu den zahllosen Menschen, die im Zuge dieser Spaltung vertrieben wurden, zählt auch die Großmutter der Regisseurin Gurinder Chadha. Chadha, bekannt durch »Kick it like Beckham«, ist in ihrem Geschichtsdrama um historische Genauigkeit bemüht. Sie will verdeutlichen, was es für die Menschen bedeutet, wenn Geschichte, wie es im Vorspann heißt, »von den Siegern geschrieben« wird. Aus diesem Grund wirkt der Film anfangs schleppend. Zusammenhänge über Ort, Zeit und involvierte Politiker werden in Dialogen vermittelt, die sich unter der Last der Informationen sperrig anhören. Debattiert Mountbatten (Hugh Bonneville) mit seiner sozial ambitionierten Frau (Gillian Anderson) über die Verbesserung der Infrastruktur, dann geht die Vermittlung der politischen Wirren in Indien Mitte der 40er Jahre zulasten der Figurenzeichnung.

Um die abstrakte Situation emotional nachvollziehbar zu machen, wird die Spaltung des Landes in einem Liebespaar gespiegelt: Mountbattens Kammerdiener Jeet (Manish Dayal), Angehöriger der Hindu-Mehrheit, liebt die Muslima Aalia (Huma Qureshi). Doch in dem Machtvakuum, das entsteht, als Mounbatten 1947 die Kronkolonie in die Unabhängigkeit entlassen will, kommt es zwischen Hindus und Moslems zu blutigen Kämpfen. Wie das Land werden Jeet und Aalia auseinandergerissen. Obwohl diese Geschichte ein etwas gefühliges Happy End hat, setzt der Film interessante neue ­Akzente: So führt »Gandhi« von Richard Attenborough die Gewaltausbrüche undifferenziert auf die Uneinigkeit des Landes zurück. Die indisch-britische Regisseurin zeigt hingegen, dass die Spannungen zwischen den Ethnien den Engländern perfekt in die Karten spielten. So wird Mountbatten ungewollt zur Marionette Churchills, der den Teilungsplan längst in der Schublade hatte: Das dabei neu gegründete Pakistan fungiert als willkommener geografischer Puffer gegen die Sowjets und schützt damit britische Ölinteressen am Golf. Diese trickreiche Durchsetzung britischer Machtinteressen forderte Tausende von Toten, etwa eine Million Menschen wurden vertrieben.

Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor Paul Mayeda Berges, erteilt Gurinder Chadha eine eindringliche Geschichtslektion. Das an Originalschauplätzen entstandene Historiendrama ist akribisch ausgestattet und beeindruckt durch Massenszenen mit unzähligen Komparsen. »Der Stern von Indien« ist vielleicht kein großes Kino, aber ein durchaus sehenswerter Film, der angesichts der gegenwärtigen Flüchtlingskrise beklemmend aktuell erscheint.

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Kommentare

Ich frage mich, weshalb die Ermordung von Ghandi im Film nicht erwähnt wrid

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