Kritik zu Der Landarzt von Chaussy

© Alamode

In seinem dritten Film schöpft Thomas Lilti erneut aus seinen eigenen Erfahrungen als Vertretungslandarzt. In einer Art Hommage an den Beruf verbindet er Elemente von Krebsdrama, Buddymovie und romantischer Komödie

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Diagnose Krebs, das ist im Leben wie im Kino ein Paukenschlag, der alle Gewissheiten des Lebens infrage stellt. Hunderte Male auf alle erdenklichen Weisen als Herzschmerzdrama oder als Tragikomödie durchgespielt, mit älteren Patienten wie in »Halt auf freier Strecke« oder »Wit«, mit Jüngeren wie in »50/50 – Freunde fürs (Über) leben« oder »Das Schicksal ist ein mieser Verräter«. Dieser Moment der Diagnose ist immer ein Schock, der Angst und Panik auslöst und nach dem nichts mehr so ist wie zuvor, so auch in der Fernsehserie »Breaking Bad«, in der die Krankheit einen braven Chemielehrer dazu treibt, die Zukunft seiner Familie durch ein Crystal-Meth-Labor zu sichern.

Auch für den Landarzt Jean-Pierre kommt dieser Moment, in dem ein befreundeter Arzt ihn mit dieser erschütternden Information konfrontiert. Doch der bleibt so stoisch ungerührt, dass sich der Kollege erst mal vergewissern muss, ob das Gesagte verstanden wurde: ein nicht operabler Tumor in der linken Kopfhälfte, kürzertreten, sich sukzessive aus der Landarztpraxis herausziehen, Chemotherapie als lebensverlängernde Maßnahme mit kleiner Aussicht auf Heilung. François Cluzet, der diesen Landarzt spielt, hat eine gewisse Übung darin, subversiv stoische Miene zu bösem Spiel zu machen. Millionen von Zuschauern lernten ihn als den »ziemlich besten Freund« eines muskulösen und lebenslustigen senegalesischen Pflegers kennen. Schon da reagierte er mit mürrischem Stoizismus auf die Zumutungen einer Krankheit. Als Krebspatient liefert er jetzt das volle Gegenprogramm zur hektischen Betriebsamkeit, die so eine Diagnose sonst auslöst. Niemandem vertraut er sich an, konzentriert sich stattdessen lieber auf die Leiden seiner Schutzbefohlenen. Als dann eines Abends Nathalie (Marianne Denicourt, die schon im letzten Film des Regisseurs eine Ärztin spielte und dafür für einen César für die beste Nebenrolle nominiert war), eine Frau in den mittleren Jahren, vor ihm steht, die der befreundete Arzt aus der Stadt ihm als Unterstützung in die Praxis geschickt hat, reagiert er abweisend. Als er sie am nächsten Morgen spürbar widerstrebend mit zu seinen Hausbesuchen nimmt, führt er ihr erst mal ihre Unfähigkeit vor, im Umgang mit den eigenwilligen Patienten ebenso wie mit angriffslustigen Gänsen. Es dauert eine Weile, bis sie sich seinen Respekt verdient, wodurch »Der Landarzt von Chaussy« auch zur sanften Version eines Buddymovie wird, in das sich ganz leise Elemente einer romantischen Komödie mischen.

Nachdem Thomas Lilti schon in seinem letzten Film »Hippocrate« über einen jungen Arzt im Krankenhaus aus seinen eigenen Erfahrungen als Arzt schöpfte, ist sein dritter Film eine einfühlsam zugeneigte Hommage an den sterbenden Berufszweig des Landarztes, gerade romantisch genug, um für einen erfüllenden Beruf zu werben, und zugleich so realistisch, dass er seine immensen Herausforderungen nicht beschönigt. Dabei offenbart sich auch, in welchem Maß Hingabe und Einfühlsamkeit die Berufe des Arztes, des Schauspielers und des Regisseurs verbinden.

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