Kritik zu Das Kino sind wir

© Filmdisposition Wessel

2023
Original-Titel: 
Das Kino sind wir
Filmstart in Deutschland: 
23.11.2023
L: 
80 Min
FSK: 
12

Livia Theuer porträtiert eines der wirkungsvollsten Kunstfilmtheater, den Filmladen in Kassel, der gerade erneut mit dem Hessischen Kinopreis ausgezeichnet wurde

Bewertung: 3
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Vielleicht gibt es noch heute Menschen, die vom Kino als einer demokratischen Institution träumen. Als einem Ort, wo man ohne Hierarchien der Sehnsucht nach dem Anderswo nachgehen und sie auf Zeit verwirklichen kann. Diesem Traum am nächsten kam der Filmladen in Kassel, der am 11. Juni 1981 von einer kleinen Gruppe leidenschaftlicher Cineasten gegründet und als Kollektiv betrieben wurde. 

In einer umgebauten Lagerhalle entstand ein »Lichtspielhaus mit Werkstatt und Getränkeausgabe«. Zu Beginn ein Ort für Freunde, mit ausrangierten Holzkinostühlen, einem alten 16 mm-Projektor und einem Dispokredit, ist der Filmladen noch heute ein Kino, das Anspruch und Umsatz ins Gleichgewicht bringt und dafür sorgt, dass die großen internationalen Filme die kleinen lokalen mitfinanzieren. Gab es am Anfang alle paar Tage mal 20 Mark, so ist es heute möglich, von den beiden Kinos, die der Filmladen betreibt, zu leben. Nicht auf großem Fuß, aber mit rechtschaffenem Stolz. 

Und doch geht es ihm, wie allen Kinos zurzeit, nicht gut. Denn während der Pandemie gab es staatliche Zuschüsse, die nun, da sich eine große Zahl der Besucher an Streamingdienste gewöhnt hat, wie diese ausbleiben. Aber das Kino hat sich schon zu lange gehalten, um jetzt kampflos aufzugeben. 

Ein kleiner Beitrag zu diesem Kampf ist Livia Theuers Film. Darin lässt sie Pioniere des neuen hessischen Dokumentarfilms wie Raymond Ley, Klaus Stern, Thomas Frickel oder Andres Veiel zu Wort kommen, spricht mit Visionärinnen des Kunstfilms wie Ulrike Ottinger, Monika Treut oder Gertrud Pinkus und zeigt, wie der Ort der Filmvorführung gleichzeitig ein Ort der Diskussion, des Austauschs und der politischen Wirksamkeit wurde.

Was aber wollten diese Filmemacher, die jenseits des Mainstreams arbeiteten und sich von niemandem sagen ließen, was ein moderner, zeitgemäßer Kinofilm zu sein hatte? Gertrud Pinkus formuliert es radikal: in erster Linie eine Form des Ausdrucks schaffen, die sich keinem finanziellen Diktat beugt. Als es darum ging, mit den Filmen Geld zu verdienen, stieg sie aus. Andere, wie Ulrike Ottinger, die auch als Künstlerin arbeitet und deren Film »Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse« bis heute Kultstatus hat, schafften beides. Sie verkauften ihre Kunst, ohne sich zu verkaufen. Ihr Film »Bildnis einer Trinkerin« von 1979 ist genauso kompromisslos wie jüngst »Paris Calligrammes«. Und auch Monika Treut, die mit ihrem Film »Verführung: Die grausame Frau« erst im Ausland reüssierte, ist bis heute eine der wichtigsten Stimmen im Queer Cinema. 

Von den Bäumen im Bannwald Frankfurts, durch den die Schneise für eine neue Startbahn geschlagen werden sollte, bis zu den Bäumen im Dannenröder Forst ist es nur ein kleiner politischer Schritt. Die Filme, so Gertrud Pinkus, zeigten die Wirklichkeit. Um sie zu verändern, waren sie zu schwach. Und doch haben sie Wirkung gezeigt, haben festgehalten, wie eine alternative politische Bewegung entstand und dann die Politik der Gegenwart zu beeinflussen begann. Ganz langsam, mit 24 Bildern pro Sekunde.

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