Kritik zu Autistic Disco

© Zorro Film

Ein Resozialisierungsprojekt auf einer abgelegenen Alm in den Bergen: Sieben junge Menschen sollen im neuen Film von Hans Steinbichler Wege zurück in die Gesellschaft finden

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»Ihr seid emotional ganz schön überwärmt«, sagt die vieles gewohnte Sozialarbeiterin, als ihre Schützlinge am Tisch von aufgeschlitzten Katzen, verschluckten Glassplittern und lebendig begrabenen jungen Frauen erzählen. Der Tisch steht vor einer Berghütte in den Berchtesgadener Alpen, deren Inneres die Sozialarbeiterin als »ganz hübsch« bezeichnet hat. Das Innere dieser Hütte werden wir nie zu sehen bekommen. Wenig, ein wenig nur, wird uns Regisseur Hans Steinbichler jedoch vom Inneren der Bewohner der Hütte zeigen: sieben verstockte junge Menschen, die inmitten der machtvollen Abgeschiedenheit der Alpen erstmals Gelegenheit erhalten, »Klinikmauern«, wie es einmal diffus heißt, geschützt zu verlassen. Doch Schutz bietet die freie Natur den namenlosen Delinquenten nicht. Ihre Annäherungen aneinander sind brüsk, ein Nähe-Distanz-Spiel, das von Sehnsucht über Angst in die Fassungslosigkeit entgleitet. Drei Paare, genauer, sechs Körper, finden sich auf Zeit, eine Zeit der falschen Hoffnungen, auch für die Sozialarbeiterin und den Jäger, die jenen Halt, den sie vermitteln sollen, längst selbst nicht mehr haben.

»Autistic Disco« erzählt weniger eine Geschichte, als dass er ein Experiment beobachtet: »Menschen vor Berglandschaften« könnte es überschrieben sein. Hervorgegangen ist das Projekt aus einem Regie-Schauspiel-Seminar am Salzburger Mozarteum, die Darsteller sind – mit Ausnahme der »Älteren« – Schauspielschüler. »Unverbraucht« werden solche Gesichter gerne genannt, so wie die in ständig wechselnde Wetter gesetzte Natur »unverfälscht« erscheint.

Und in der Tat setzt Bella Halbens Kamera einen zwingenden Bezug zwischen den Konturen der Gesichter und jenen der Felsen. Und Regisseur Steinbichler lässt einen liebeskranken jungen Mann im tarnfarbenen Parka gegen Bäume springen und an Ästen reißen wie ein Bock. Das Experimentelle der Konstruktion dieses Films wird durch das Planvolle in Form der kalkulierten Schönheit seiner Bilder gebändigt. Steinbichler und Halben zeigen die Momentaufnahme einer Katastrophe, der unzählige andere vorangingen und weitere folgen werden. Hoffnung ist etwas für Innenräume. Für die Natur scheint die Natur des Menschen nicht mehr gebaut zu sein. Vor ihr haben die Touristen wider Willen so viel Angst wie vor der Stille, weswegen sie ständig Musik über Ohrstöpsel hören. Doch sobald jemand anders mithören soll, der Autismus aufbricht, bricht die Tragödie ein.

Steinbichler hat diesen Film zwischen »Winterreise« und den bald anlaufenden »Die zweite Frau« gesetzt. Es finden sich viele gemeinsame Motive, wie dies bei einem Regisseur seines obsessiven Kalibers auch zu erwarten ist: Die Leere nach dem Gefühl, die Einsamkeit der seelisch Kranken und die stoische Ruhe, mit der Landschaften ignorieren, was sich in ihnen abspielt. »Autistic Disco« mutet als Film auch ein wenig autistisch an, weil er dem Zuschauer kein Zentrum anbietet, ihn nicht hereinholt in die Unbehaustheit seiner Figuren, bis er ihn zum tragischen Schluss in die Vogelperspektive entlässt.

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