Kritik zu Auf der Suche nach Fritz Kann

© Real Fiction Filmverleih

2022
Original-Titel: 
Auf der Suche nach Fritz Kann
Filmstart in Deutschland: 
12.01.2023
L: 
90 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Fritz Kann wurde 1942 vom Düsseldorfer Schlachthof aus ins polnische Izbica deportiert. Marcel Kolvenbach rekonstruiert die Geschichte seines jüdischen Großvaters – mit dokumentarischen und theatralen Mitteln

Bewertung: 3
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Man weiß inzwischen, dass sich Traumata und Tragödien in einer Familie gewissermaßen vererben, und zwar nicht nur auf die Generation der Kinder, sondern auch auf die der Enkel. Und auch die brauchen ihre Zeit, ein gewisses Alter, bis sie ihre Prägung oder ihr Interesse erkennen. Dieser psychodynamische Vorgang hat dazu geführt, dass sich heute Filmemacher, aber auch Historiker viel mehr mit der NS-Zeit und dem Holocaust beschäftigen als in der Generation der Nazitäter, die ja bis Ende der sechziger Jahre in der Bundesrepublik die Deutungshoheit hatte. Ein durchaus positiver Prozess. 

Oft scheint es das Schweigen, aber auch die Unwissenheit zu sein, die eine Spurensuche auslösen. Viele Dokumentarfilme über solche privaten Recherchen sind mittlerweile entstanden – und keinem wird man seine Bedeutung absprechen können. Marcel Kolvenbach hat, so sagt er in seinem Film, sich schon mehrere Jahre mit Fritz Kann beschäftigt, bevor er diesen Film machte. Fritz Kann war der erste Mann von Marcel Kolvenbachs Großmutter, ein Jude aus dem Rheinland, der 1942 vom Düsseldorfer Schlachthof aus in den Osten deportiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt war das Ehepaar Kann schon geschieden, und es gab einen neuen Ehemann. Marcels Vater Hans-Jürgen aus zweiter Ehe, der ziemlich genau neun Monate nach der Deportation geboren wurde, hat über seine beiden Halbbrüder, die Söhne von Kann, geschrieben und liest aus ihren Briefen vor. In einem eigens eingerichteten Studio. Immer wieder unterbrechen diese in Szene gesetzten Momente den Erzählfluss, ebenso eine mitunter etwas allzu deutliche und überambitionierte Tanz- und Stillleben-Performance. 

Von den Menschen, die die Nazis umbrachten, existiert mitunter nur noch ein Eintrag auf einer Deportationsliste, wenn überhaupt. Aber den Ort der Deportation, den Schlachthof, gibt es noch, er ist mittlerweile Teil des Campus der Hochschule Düsseldorf und eine Gedenkstätte. Sieben Transporte gingen von dort los, mit 6000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Kolvenbach hat Interviews mit Nachfahren geführt, etwa mit dem US-Amerikaner ­George Nathan, dessen großelterliche Familie von Düsseldorf ins Ghetto Riga verschleppt wurde; die Großmutter und ihre beiden Töchter haben überlebt. Der Leiter des Erinnerungsorts, Joachim Schröder, weist auch noch einmal auf die bürokratische Organisation hin, die eine Deportation bedeutete, und hebt die Erkenntnis hervor, die man nicht oft genug betonen kann: dass viele davon gewusst haben müssen. 

Mit ihm reist Kolvenbach nach Lublin, wo die Transporte weiterverteilt wurden. Fritz Kann wurde ins polnische Izbica deportiert, wo sich seine Spur verliert. Für viele Nachgeborenen fehlt ein solcher Erinnerungsort, auch das ist Teil des Traumas. Kolvenbach folgt auch den Spuren von Kanns Verwandten nach Argentinien. Viele biografische Spuren zu Fritz Kann findet Kolvenbach nicht, das war zu erwarten gewesen. Aber er hebt einen der Menschen, die wir oft nur als Zahlen kennen, aus den Listen hervor. 

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