Kritik zu 10 Sekunden

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Chill-Out statt Tragödie: Nicolai Rohde ließ sich von der tragischen Nachgeschichte der Flugzeugkatastrophe von Überlingen zu seinem Film inspirieren. Das Drehbuch schrieb der Regisseur zusammen mit Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser

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Die Geschichte des Flugzeugunglücks von Überlingen im Jahr 2002 ist für das Kino ein reicher Stoff. Eine zeitgenössische Tragödie, in der die Technik die Rolle der Götter eingenommen hat und »menschliches Versagen« die Sprachregelung für das Scheitern der Erdenbewohner ist. Eine Frachtmaschine und ein Passagierflugzeug steuern über dem Bodensee aufeinander zu, ein überforderter Lotse rät der Letzteren zum Sinkflug, obwohl deren Warnsystem das Gegenteil empfiehlt. Es kommt zum Zusammenstoß, 71 Menschen sterben. Es sind nicht die letzten Toten, das Unglück gebiert in schicksalhafter Konsequenz weiteres Unglück: Eineinhalb Jahre danach bringt ein Hinterbliebener den Lotsen um, nimmt dessen schwangerer Frau und den Kindern das, was ihm genommen wurde, ohne es dadurch zurückzubekommen.

Wer das alles nicht weiß, würde kaum auf die Idee kommen, dass Nicolai Rohdes Film diese Geschichte modelliert. Rohde hat, gemeinsam mit seinen Coautoren Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser, der Tragödie alles Tragische abgeschlagen und den Rest dann als schickes Fernsehspiel kompiliert. Es geht um drei Akteure, die durch dramatisierende Inserts einen Tag vor dem Jahrestag des Unglücks eingeführt werden: Erik (Filip Peeters), der Hinterbliebene, der auf Rache sinnt, Franziska (Marie Bäumer), die Frau des Lotsen (Wolfram Koch), die noch stärker als ihr Mann unter seinem Fehler zu leiden scheint, Harald (Sebastian Blomberg), ein Polizist, der an der Absturzstelle war. Erzählt wird in elliptischen Episoden, aber das Konzept der leichten zeitlichen Verschiebung trägt gerade über den Anfang hinweg: Den Duktus einer atemlosgenauen Rekonstruktion will es nicht bedienen, für verblüffende Effekte, die durch das Aufbrechen einer Erzählchronologie entstehen könnten, fehlt ihm die Trennschärfe. So wird aus dem Spiel mit den Zeitebenen ein Gimmick: Sieht gut aus, erfüllt aber keinen Sinn.

Das ist das Credo des ganzen Films. Alles sieht dank der bisweilen vulgären Kamera gut aus – die Schauspieler, das Walter-Gropiushafte Haus, in dem der Lotse wohnt, die Bürgerlichkeitsküche des Polizisten –, aber es bleibt unklar, was damit befördert werden soll. »10 Sekunden« ist eine riesige Nivellierungsmaschine, in der sämtliche Unterschiede zwischen Milieu, Charakter und Psychologie eingeebnet werden. Heraus kommt ein Stimmungsbrei; das filmische Drama wird zur Chill-Out-Zone, in der das Danach der Tragödie wie der Sonntag nach einer Partynacht erscheint, an dem Entspannung immer auch ein wenig von Trauer flankiert wird. Weil das Unglück schon passiert ist, sind von Beginn an alle Protagonisten schlecht drauf, die schlechte Laune wird noch verstärkt durch Klischees wie das der ignoranten Schwiegermutter. Der einsame Wolf, die empfindsame Zicke, der zweifelnde Gesetzeshüter – das könnten Figuren aus einem der zahllosen deutschen Filme sein, die ihren Befund von der verstörten Beziehungslosigkeit umher driftender Großstadtmenschen in ein heilloses emotionales Hin-und-Her von »Ich muss weg« und »Bleib doch« übersetzen.

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