Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Des Meisters frühe Werke

Über 50 Filme hat Alfred Hitchcock zwischen 1920 und 1976 gedreht. Ein solch umfassendes Werk lädt dazu ein, es immer wieder aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Die von Arthaus/Studiocanal herausgebrachte Box »Alfred Hitchcock – Die frühen Filme« legt einen bislang ungewohnten Fokus auf eine frühe Epoche, nämlich Hitchcocks Arbeiten für British International Pictures (BIP) zwischen 1927 und 1932.

Zur Einordnung: Hitchcocks Zeit bei BIP begann, nachdem er mit »Der Mieter« (1926) erste größere Beachtung erfahren hatte, und sie endete, noch bevor er mit Filmen wie »Der Mann, der zuviel wusste« (1934) und »Die 39 Stufen« (1935) – nun produziert von Gaumont Pictures – die bekanntesten Werke seiner britischen Schaffenszeit herausbrachte. Die Filme, die während seiner Zeit bei BIP entstanden sind, zählen also nicht unbedingt zu den populärsten. Hitchcock selbst zeigte sich sogar teilweise unzufrieden. Was die Filme jedoch repräsentieren, ist eine produktive Phase des Ausprobierens mit klassischen Thrillern, aber auch Melodramen und Komödien, in denen das handwerkliche Können von Hitchcock bereits deutlich erkennbar ist.

Insgesamt zehn Werke sind in der Box enthalten, was nahezu das gesamte Schaffen bei BIP abdeckt. Alle Filme eint, dass sie zum ersten Mal auf Blu-ray erschienen sind. Zu jedem Film gibt es auf der jeweiligen Disc eine Einführung des Filmemachers und Filmhistorikers Noël Simsolo, Interviews und Audiokommentare von unterschiedlichen Filmspezialisten sowie mit Standbildern illustrierte Audiomitschnitte der berühmten Gespräche von Hitchcock und Truffaut. Begleitet wird die Box von einem lesenswerten Booklet, in dem der Restaurierungsprozess von Hitchcocks Stummfilmen beschrieben wird; ein trotz Hitchcocks Popularität lange vernachlässigtes Projekt, weswegen die Qualität der Filme nicht immer höchsten Ansprüchen genügt.

Auch die historischen Umstände werden im Booklet thematisiert. So wird aufgezeigt, wie sehr Hitchcock sich in seiner BIP-Zeit mit verschiedenen stilistischen Filmbewegungen auseinandersetzte, die Eingang in seine Filme fanden: narrative Strukturen aus Hollywood gepaart mit klassischen britischen Literatur- und Theatervorlagen, Bildeinstellungen und Beleuchtung, die gleichermaßen von deutschem Expressionismus und französischem Impressionismus beeinflusst waren, die entfesselte Kamera eines F. W. Murnau mit langen Kamerafahrten ebenso wie die von Sergei Eisenstein praktizierte Montage. Eher einmalige Experimente gab es mit »Mord – Sir John greift ein!« (1930), für den Hitchcock mit improvisierten Dialogen arbeitete, und der filmisch-bühnenhaften Theateradaption »Juno und der Pfau« (1930).

Besonders macht Hitchcocks BIP-Zeit auch der Umstand, dass sie den Übergang zum Tonfilm markiert. Von »Erpressung« (1929) existieren daher sowohl eine Stummfilm- als auch eine Tonfilmfassung (beide in der Box enthalten). Letztere gilt als einer der ersten britischen Tonfilme überhaupt. Die Entstehungsgeschichte des Films ist Thema der ebenfalls hier enthaltenen Dokumentation »Becoming Hitchcock« von 2004, die aufzeigt, wie sich schon in diesem Film Hitchcock-typische Stilmittel und Motive finden.

Der Thriller um einen Scotland-Yard-Beamten und dessen Frau, die in Notwehr einen Mann ersticht, beinhaltet einen klassischen Kriminalplot, eine spektakuläre Verfolgungsjagd in einem Museum sowie einen Cameo-Auftritt des Regisseurs und hat mit Anny Ondra die für Hitchcock typische Blondine als weibliche Hauptfigur. Mit minutiösen Szenenanalysen und Vergleichen zeigt die Doku, wie sich Variationen ganzer Sequenzen in späteren Werken wiederfinden. Die Mordszene in Erpressung weist Parallelen zur berühmten Duschszene in »Psycho« (1960) oder zum Scherenmord in »Bei Anruf Mord« (1954) auf. Allein für solche Entdeckungen lohnt sich die Auseinandersetzung mit den Filmen dieser Zeit, die mit dieser Box mustergültig aufbereitet werden.



Alfred Hitchcock – Die frühen Filme (11 Blu-rays) R: Alfred Hitchcock. Da: Henry Kendall, Carl Brisson, John Stuart, Joan Barry. Anbieter: Arthaus/Studiocanal.

VÖ: 16. Januar 2025

Bestellmöglichkeit (Blu-ray-Box)

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt