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Schmuggler an die Macht!

Lieber Georg Seeßlen,

wie gut, dass Du dies Manifest geschrieben hast. Bei „fest“ denke ich an eine Burg, die Schutz und Sicherheit bietet, selbtverständlich an Martin Luthers „feste Burg“, schließlich hast Du Deinen Text für das Filmmagazin der protestantischen Kirche geschrieben.

Du fragst: Können wir nach der Pandemie zur Normalität zurückkehren? Und was für eine Normalität war das überhaupt? Als Alternative zum Online-Kapitalismus forderst Du Filmaktivist*innen, „die das filmische Arbeiten aus herrschenden Zwängen befreien“ und plädierst für eine „neue Kinobewegung: kollektiv, interdisziplinär, kosmopolitisch und unabhängig“.

Filmaktivist war und bin ich - seit 1966, als ich meinen ersten Film drehte. Ich weiß, was Du meinst, ich weiß, was es heißt, so zu arbeiten und zu leben. Solche Mensch sind und bleiben Außenseiter, haben es schwer, gesehen zu werden, ihren „Lebensunterhalt“ durch das, was sie herstellen, zu sichern. Das Finanzamt moniert fehlende Einnahmen, spricht von Hobby.

Du lieferst eine brillianten Analyse vom Istzustand des „Weltmarktes der Bewegtbilder“. Doch das, was Du als Anleitung für ein alternatives, befreiendes, selbstbestimmtes Tun anbietest, ist für mich eher ein Regenschirm im Sturm, kein Leuchtturm, keine feste Burg.

Dein Text schließt: „Der Autor bedankt sich bei Christoph Hochhäusler und den Student*innen im Regie-Colloquium der DFFB, deren kritischer Reflexion er im Vorlauf einige dieser Gedanken vorlegen durfte.“

Ich kann mir kaum vorstellen, dass Studierende der dffb im Fach Regie bereit sind, ihr berufliches Wirken auf die von Dir beschriebene „unabhängige Mikroökonomie“ zu reduzieren, die „winzig im Vergleich mit den globalen Traummaschinen“ ist, obwohl es jedoch Deiner Meinung nach „ökonomisch erfolgversprechender (sei), sich erst einmal von »ökonomischen Zwängen« zu befreien, als sich auf eine ewige Spirale der Anpassung und Kompromisse einzulassen.“

Kann das Ziel einer aktuellen Filmausbildung sein? Es stimmt, die Marke BIO hat sich aus den Anfängen nun auch die Regale der Supermärkte erobert, leisten können sich diese Lebensmittel jedoch nur die mit einem gesicherten Einkommen aus der Arbeit in den Fabriken der „Traummaschinen“.

Wäre es nicht wichtiger zu differenzieren, Strategien zu entwickeln, die es möglich machen, mit und in den „globalen Weltbild-Maschinen“ zu arbeiten?

In meinem unbezahlt geschriebenen Kommentar kann ich nicht auf alle Thesen, die in Deinem Text enthalten sind, eingehen. Es ist fahrlässig und unverantwortlich, Filmstudent*innen nicht in die Geheimnisse der auf den demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft basierenden öffentlich-rechtlich Fernsehsender einzuweihen. Sie fit zu machen, mit diesen 8 Milliarden Euro schweren Medientankern den Kampf aufzunehmen. In dem Zusammenhang finde ich den von Dir zitierten Begriff „Schmugglerware“ angebracht.

Eins meiner Lieblingsbücher mit einem besonderen Platz in meinem Atelier ist das aus Bildern bestehende Werkverzeichnis der Filme meines Studienfreundes, des Schweizer Regisseurs Daniel Schmid: „A Smuggler's Life“. Ein Buch wie ein Film. (Edition Dino Simonett).

Schon lange bin ich zu der Überzeugung gekommen, SCHULE sollte der Ort sein, um den sich menschliches Leben organisiert, auf den sich unsere Wünsche und Vorstellungen von einem nachhaltigen, demokratisch gestalteten Leben fokussieren. In jeder Schule sollte es ein Kino geben, Filmkunst theoretisch und praktisch unterrichtet werden.

Mehr und mehr entwickelt sich das menschliche Zusammenleben vom Wort zum Bild. Das begeistert mich, darum sehe ich im neuen Zeitalter des Digitalismus auch viel Potential, mit dem die aktuellen Sorgen und Nöte der Menschheit gelöst werden könnten.

Mein Enkel, seit Monaten im Homeschooling, täglich bis zu zehn Stunden am Bildschirm, hat mich angefixt, mir die Sendung „Germany's next Topmodel“ auf dem Privatsender pro7 anzusehen. Zunehmend verstehe ich, was ihn daran fasziniert. Würde ich an der dffb unterrichten, sollten meine Studierenden sich mit diesem Sendeformat und seinem Maketingkonzept befassen. Faszinierend daran ist, es findet zusätzlich in gleicher Intensität in den „sozialen Netzwerken“ statt. Heidi Klums Mädchen kreisen wie ein Schwarm um Heidi, werden zu Satelliten, die sich wie in einem Universum bewegen, in dem die Sonne nie untergeht, Fantasie keine Grenzen kennt. Heidis mediale Präsenz wie die einer Päpstin. „Germany's next Topmodel“ als Religion.

Ich versuche mir vorzustellen, wie der Film aussieht, dem Dein Manifest als Drehbuchvorlage dient, die „neue Philosophie des Filmischen“ sichtbar wird.
Ein „kollektiv, interdisziplinär, kosmopolitisch und unabhängig“ gemachtes Werk.

Mit Dank. Gut Licht!
Gerd Conradt
www.gerdconradt.de

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