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Dies Land, dieser Himmel: Christian Schwochow bleibt in seiner beklemmenden Siegfried-Lenz-Adaption ganz nah am Original
Ein heikles, ein zwiespältiges Projekt. Einerseits ist die Verfilmung von Siegfried Lenz' »Deutschstunde« eine Art Selbstläufer. Der bisweilen als Meisterwerk und Weltliteratur gefeierte Millionenseller aus dem Jahr 1968 zählt bis heute zur Schullektüre. Und in Form einer edel-gestrengen Kinoadaption wird Lenz' exemplarisches Endspiel vermutlich für diverse weitere Pennälergenerationen Pflichtprogramm werden. Andererseits war der Roman von Anfang an umstritten. Verspätet sei er gewesen, meinte Peter W. Jansen, »literarisch und politisch«. Doppelt anfechtbar fand ihn Peter Härtling, »durch Stilisierung und durch Stil«. Und ein Literaturlexikon erklärte, Lenz dämonisiere »das Alltäglich-Banale am Faschismus eher zum Bösartigen, als dass er seine Entstehung erklären könnte«.
Verkompliziert wurde der Umgang mit dem Roman zusätzlich durch den erst nachträglich bekanntgewordenen Umstand, dass Lenz einen der Protagonisten, den Maler Max Ludwig Nansen, offensichtlich Emil Nolde nachempfunden hat. Wie Nolde malt Nansen auf einem abgelegenen Hof an der deutsch-dänischen Grenze expressionistische Werke, die den Nazis als »entartet« gelten. Aber anders als Nolde ist der fiktive Charakter ein aufrechter Individualist und Faschismus-Kritiker, während das reale Vorbild ein überzeugter Nationalsozialist, Antisemit und Bewunderer Adolf Hitlers war. Die Entstehungs- und Wirkgeschichte des Romans müsse umgeschrieben werden, forderte deshalb die FAZ. Und der Tagesspiegel konstatierte, die Makellosigkeit des Buchs sei verloren gegangen.
Wenn ein deutscher Filmemacher dieses urdeutsche Sujet nun ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen des Romans auf die große Leinwand bringt, stellt sich notgedrungen die Frage, wie er mit den Ambivalenzen und Widersprüchen des Originals umzugehen gedenkt. Christian Schwochow, hierzulande nicht erst seit »Bad Banks« einer der interessantesten aktuellen Regisseure, entscheidet sich für unbedingte Werktreue. Wie Lenz reklamiert er das Recht für sich, einen klaren Trennungsstrich zwischen Fiktion und Realität zu ziehen, sich ganz auf den reduzierten, archaischen Konflikt konzentrieren zu dürfen, den Lenz einmal so auf den Punkt gebracht hat: »Dies Land, dieser Himmel, ein Künstler und die Macht.«
Ein Ort an der Peripherie also, fernab von den Schaltstellen der Macht, den Trends der Zeit. Hier herrschen einfache Verhältnisse: weites Land, offener Himmel, endloses Meer. Und eine klare Trennung zwischen denen, die es mit der Macht halten, wie der beflissene Dorfpolizist Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen), und jenen, die die braune Politik verachten, wie Nansen (Tobias Moretti), ein alter Freund Jepsens und der Patenonkel von dessen elfjährigem Sohn Siggi (Levi Eisenblätter). Wie der Roman zeichnet der Film die beiden als übergroße, sehr eindimensionale Gegenspieler: verkniffen, obrigkeitstreu und autoritär der eine, nachdenklich, tolerant und aufgeschlossen der andere. Dazwischen, in der moralischen Zwickmühle: der junge Siggi, das überforderte Kind. Auf beiden Seiten sucht es Liebe und Unterstützung – und findet doch bloß ein furchtbares Dilemma.
Schwochow erzählt das in schweren, erdrückenden Bildern, aus denen jegliches Licht entwichen scheint. Dunkel und düster sind die Zeiten, dunkel und düster ist die Welt. Selbst Dünen und Strand wirken beklemmend; die endlose Landschaft evoziert nicht Freiheit, sondern Bedrohung. Eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der der gereifte Siggi (Tom Gronau) im Jugendgefängnis seine Erlebnisse in Dutzende Kladden notiert, entfaltet sich die Geschichte mit gnadenloser Konsequenz: ein ewiger Schlagabtausch der Philosophien, ein (auch räumlich) ständiges Hin und Her zwischen reetgedecktem Polizistendomizil und weltoffenem Künstlerhof, zwischen Spießbürgertum und Bohème. Dass es sich bei Nansen definitiv nicht um Nolde handelt, beweisen seine Bilder, die mit ihrer farbenprächtigen Verzweiflung eher an Munch erinnern. Kein Platz also für Fragezeichen und Zwischentöne, vielmehr eine echte Deutschstunde, die den didaktischen Duktus ja schon im Titel trägt.