Forum: »Accidence« und »The Green Fog«

»Accidence« und »The Green Fog« von Guy Maddin
»The Green Fog« (2017)

Die Berlinale, genauer: das Programm des Internationalen Forum des jungen Films, hat Guy Maddin erst spät entdeckt, seine frühen Filme (von denen hierzulande auch noch einige ins Kino kamen) liefen beim Filmfest München. Aber mit einem Stummfilm, präsentiert mit prominenter Sprecherin (Isabella Rossellini) und mit Live-Orchestermusik füllte er dann vor einigen Jahren die Deutsche Oper.

Seitdem ist er regelmäßiger Gast, in diesem Jahr mit einem kurzen und einem mittellangen Film, zusammengefasst in einem Programm. Der Zehnminütiger »Accidence« ist, wie Warhols »Chelsea Girls« und Tatis »Playtime«, einer jener Filme, bei dem derartig viele Handlungen parallel im Bild ablaufen, dass jeder Zuschauer einen anderen Film sehen kann. Hier fährt die Kamera zu Beginn zurück von einem Balkon, wo gerade ein Mord geschehen ist und enthüllt eine Vielzahl von Balkons eines Wohnblocks (plus die Treppenhäuser). Vermutlich wird der Blick der meisten Zuschauer hin- und herwandern zwischen dem ursprünglichen Balkon und jenem, wo sich hinter dem Fenster noch Dramatischeres abspielt, mit riesigen schwarzen Schatten und einer Frau, die hilflos das Geschehen vom Balkon verfolgt.

Nach dem schweifenden Blick beim Vorfilm setzt der nachfolgende 62-Minüter »The Green Fog« eher die Erinnerungskapazitäten des Filmnerds in Gang. Ausschnitte aus verschiedensten Spielfilmen werden zu einer rudimentären Handlung verknüpft, bei dem ein grüner Nebel in einen Hotelflur quillt oder sich über die Bucht von San Francisco legt. »San Francisco plays itself« könnte der Film auch heißen, als Verbeugung vor Tom Andersens grandiosem Dreistünder »Los Angeles plays itself«: alle Bilder sind in San Francisco entstanden, wie der Nachspann noch einmal betont, entsprechend oft bekommen wir die Bucht mit der Golden Gate Bridge und die abschüssigen Straßen zu sehen, ebenso fehlen nicht clips aus einigen der archetypischen San Francisco-Filme wie »Vertigo« oder »Dirty Harry«. Bevor der Film (in Maßen) auf die Konstruktion einer Geschichte setzt, gefällt er sich in Reihungen (Männer, die über Dächer hasten) und dem komischen Effekt, der sich ergibt, wenn man aus Gesprächssituationen alle Dialoge herausschneidet und nur verzerrte Münder überbleiben. Viele Clips aus Fünfziger-Jahre-Filmen fügen sich durch die gezeigten Standardsituationen zu einem großen Ganzen zusammen, der Zuschauer konstruiert sich seinen eigenen San Francisco-Genrefilm, ausgehend von Situatione oder auch von den Schauspielern, die er erkennt und die zu Erinnerungen an ander Filme mit ihnen führen - bis dann plötzlich ein Mann mit schlimmster 80er-Jahre-Frisur auftaucht (aus »Hard to Hold«; wie der Nachspann verrät), der die Illusion bricht. Sowohl Rock Hudson (mit gemäßigt langen Haaren, also ein 70er-Jahre-Film) als auch Karl Malden & Michael Douglas (»Die Straßen von San Francisco«) sehen wir wiederholt beim Betrachten anderer Filme – und der junge Chuck Norris (noch ohne den charakteristischen Bart) sieht sogar seinem älteren Selbst zu. So macht Filmgeschichte Spaß.

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