Topographische Unsicherheiten

Der erste Film, den ich je trotz massiver Proteste am Eingang des Kinos gesehen habe, war Fitzcarraldo. Werner Herzog wurde seinerzeit, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, die Ausbeutung der indigenen Statisten sowie Raubbau an deren Lebenswelt vorgeworfen. Für solche und andere Vergehen leistet nun erfreulicherweise die neue Berlinale-Sektion "NATIVe" Abbitte.

Die habe ich bislang noch nicht besucht, dazu hält mich mich Herzogs neue Eskapade momentan leider noch zu sehr in Atem. Zunächst konnte ich gar nicht glauben, dass er seinen Film ernst meint und da nicht irgendwo einen zweiten Boden der Ironie untergezogen hätte. Aber halten wir uns nicht lange mit Geschmacksurteilen auf; auch ohne mein Zutun erntet Queen of the Desert bereits genug Häme. Trotz allem fände ich es interessant, wenn der eine oder andere Historiker sich zu dem Film zu Worte melden würde. Als findige Archäologin respektive Spionin tritt Gertrude Bell nicht recht in Erscheinung in Herzogs Biopic. Wenn ich mich recht erinnere, war in einer dürftigen ZDF-Doku über die Bagdad-Bahn mehr über ihre diesbezüglichen Verdienste zu erfahren.

Was der Film nicht in Bildern erzählt oder zumindest in Dialogen bzw. im Voice-over-Kommentar dem Publikum zur Kenntnis bringt, müssen am Ende einige Abspanntitel tun. In ihnen wird erwähnt, dass sie in britischem Namen federführend an Grenzziehung im Nahen Osten beteiligt war. Das eröffnet ein faszinierendes Terrain. Tatsächlich sind diese Grenzen eine koloniale Fiktion. Da ist die Verortung des Nordpols, den Juliette Binoches Ehemann in Nobody wants the night erreichen will, zweifellos präziser. Sie haben nichts mit der Lebenswirklichkeit der Beduinen zu tun, die als Nomaden eine freizügige Existenz führten. Mithin verliefen etwaige Grenzen flexibel, waren spontane, flüchtige Setzungen. Den Herzog von Einst hätte hätten koloniale Willkür und Irrungen interessiert. Der Herzog der Gegenwart scheint all seinen Ehrgeiz darein zu setzen, der James Ivory des 21. Jahrhunderts zu werden.

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