Quite exotic ?!

Es ist jedes Jahr das Gleiche. Irgendwie schaffe ich es noch gerade, am Mittwoch den Festival-Ausweis abzuholen. Aber wenn ich dann eifrig Badge und Programminformationen nach Hause geschleppt habe, drängen die Schreibpflichten schon so arg, dass ich nicht mehr dazu komme, sie richtig zu studieren. Stattdessen bewege ich mich nur noch vom Schreibtisch zum Sofa vor den DVD-Spieler - und von dort wieder zum Schreibtisch zurück. Und statt in satten Farben auf der großen Leinwand sehe ich Filme auf einem mickrigen Netbook (das einzige meiner Geräte, wo das Streaming läuft) als ruckelnden Video-Stream, der alle paar Minuten ganz abbricht. Außerdem legt sich die Manövrierleiste immer im fälschsten Moment als Störbild vor die Untertitel, wenn die Hoppelei nicht gar sowieso jeden zweite Zeile verschlingt. (Und versuchen Sie einmal, in einem Stream fünf oder sechs Frames zurückzuspulen...). So braucht es hermeneutische Interpretationskunst, um zu entscheiden, ob etwas, das wie kunstvoll manipulierte Zeitlupe aussieht, nicht in Wirklichkeit nur ein Abspielfehler ist. 

Dazwischen kommen lustige Mailwechsel mit internationalen Presseagenten, die ihren Job soweit verfehlt haben, dass sie die von ihnen vertretenen Filme eher behindern als zu befördern. Aber die Zeit reichte dann doch noch, um spät nachts die Zusammenfassung der Eröffnungsveranstaltung im Fernsehen anzuschauen, eine gute Gelegenheit zum fremdzuschämen - und froh darüber zu sein, das Ding nicht in ganzer Länge ertragen zu müssen. Vor allem wegen Moderatorin Engelke mit ihrer Oberstreber-Quäkestimme und der weibchenhaften Unterwürfigkeit, mit der sie sich an den Schauspieler James Franco heranschleimt. Um dann die - bei einem internationalen Festival doch eigentlich selbstverständlich international besetzte - Kurzfilmjury als "quite exotic" vorzustellen, weil dort unter anderen Cineasten aus der Türkei und Indien sitzen. Peinlicher geht es kaum.

Dazu kamen allerlei alberne Witzchen über den angeblichen Feminismus des Festivalleiters. Die starken Frauen sollen angeblich ja schon wieder das große Festivalthema sein, heißt es. Aber heißt es nicht jedes Jahr? Dabei bezieht sich die Stärke bekanntermaßen nicht etwa auf die Präsenz hinter Kamera oder auf dem Regiestuhl sondern auf den Glanz in den Geschichten auf der Leinwand. Auch Juliette Binoche als Mrs. Peary in Isabelle Coixets Eröffnungsfilm ist ja angeblich so eine starke Frau. Und warum? Weil sie aus Liebeswahn ihrem Mann durch die halbe Welt hinterherreist. Ich erinnere mich noch an Zeiten, da entflohen Frauen aus dem Eheleben in die Freiheit.

Nobody Wants the Night zeigt auch, dass Frauen nicht unbedingt die besseren Filme machen. Trotzdem ist es notwendig, ihren Anteil zu erhöhen, wie die Pro-Quote-Regie-Aktivistinnen seit Herbst immer lauter in der Öffentlichkeit fordern. Immerhin haben sie es gestern - wohl zum ersten Mal - in das ARD-Nachtmagazin geschafft, wo Sprecherin Katinka Feistl ein paar treffsicher gewählte Sätze zur Unterrepräsentation von Frauen im Regiefach abgeben konnte. Deren Anteil ist diesem Jahr etwas gestiegen, aber von den 441 Berlinale-Filmen haben immer noch gerade mal 115 eine weibliche Regie. Von den dreiundzwanzig Filmen im Wettbewerb sind es drei. Dabei sind die Hälfte aller Filmhochschul-Absolventen weiblich. Ab heute laden die Pro-Quote-Frauen auf dem Potsdamer Platz in ihre Zelt-Bubble zur Information und zum Austausch ein. Ein gutes Gegengewicht zum Oréal-Schminkstudio.

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