Feld der Träume

Bevor der Weizen im Kino ein Nahrungsmittel sein kann, liefert er Konfliktstoff; sozialen allemal. Er ist ein kostbares Gut, um das gestritten wird. Seine Aussaat und Ernte sind mannigfach bedroht, von den Naturgewalten wie der menschlichen Gier. Er hört nie auf, doppeldeutig zu sein, zugleich Handarbeit und Metapher.

Mythisches Potenzial wohnt ihm von Anfang an inne. Man könnte fast glauben, David Wark Griffith habe die Parallelmontage nur seinetwillen erfunden. Zu Beginn von »A Corner in the Wheat« (Der Weizenkönig) wird das Saatgetreide sorgfältig mit der Hand geprüft. Helmut Färber beschreibt dies in seinem schönen Buch über den Film als eine Geste der Wertschätzung. In einer friedlichen, geduldigen Totalen schreitet der Sämann mit dem Ackerpferd aus der Tiefe des Bildes nach vorn, wendet im dann Vordergrund, um sein Saatgut in der nächsten Furche auszubringen. An der Börse herrscht derweil Tumult. Da ist der Weizen ein Spekulationsobjekt. Dem Weizenkönig gelingt ein spektakulärer Coup, der ihn in Windeseile zum Weltmarktführer und um vier Millionen Dollar reicher macht. Der Zwischentitel »The Gold of the Wheat« meint nicht die Farbe der Ähren, sondern deren Entfremdung. Er kündet das prunkende das Bankett des Millionärs an.

Griffith' Cross-Cutting besteht auf der Unvereinbarkeit dieser Welten. Seine Parallelmontage sollte immensen Einfluss auf das sowjetische Montagekino haben (zwar schreibe ich in „Die drei Wirklichkeiten“ vom 28. 2. sträflich wenig über Dowschenkos Weizen, aber erlauben Sie mir, mit dieser Tour d' horizon für einmal beim Hollywoodkino zu bleiben). Er zieht ihr aber noch einen Zwischenbereich ein: Ein Bäcker muss den Preis für den Laib verdoppeln. Einmal gerät der Industriebaron tatsächlich in Tuchfühlung mit seinem Kapital, als er in einen Speicher stürzt. Dieser Dagobert Duck aus Ungeschick droht, im Getreide zu ertrinken, kann aber gerettet werden. Eine Katharsis ist das mitnichten. Am Ende schreitet der Sämann wieder durch die Furche und verschwindet in einer resignierten Abblende.

In Murnaus „City Girl“ (Unser tägliches Brot) von 1930 gewinnt der Weizen eine moralische Dimension. Ein Farmerssohn soll die Jahresernte in der großen Stadt verkaufen, die Preise fallen, der arglose Junge heiratet eine lebenslustige Frau, die den Argwohn des sittenstrengen Vaters weckt. Die Prüfung des Getreides gerät in dessen Händen zu einer Allegorie auf Reinheit. Konflikte mit Erntehelfern und ein drohender Sturm machen „City Girl“ zum dramatischsten aller Weizenfilme. In „Our daily bread“ von King Vidor kehrt sich der Stadt-Land- Gegensatz um. Hier werden 1934 arbeitslose Großstädter, angespornt von Roosevelts New Deal, zu Farmern. Der Wandel vom Konsumenten zum Produzenten ist schwierig; nach vielen Rückschlägen gründen Vidors Heldinnen eine Kommune, um sich gegen Großgrundbesitzer behaupten zu können. „Unser tägliches Brot“ ist das widerspenstig optimistische Mittelstück von Vidors amerikanischer Trilogie „Krieg-Getreide-Stahl“; nicht nur in diesen Zeiten ein mulmiger Dreiklang. In »Früchte des Zorns« bleibt, wenn mich die Erinnerung nicht trügt, der Weizen unsichtbar, obwohl er die Existenzgrundlage der Familie Joad ist. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise ist Oklahoma, die Kornkammer der USA, versiegt. Im Dust bowl gibt es nur noch Staub, Wind und die anrückenden Bagger der Großgrundbesitzer. In Kalifornien erwartet die Oakies statt gut bezahlter Landarbeiter eine neue Form der Ausbeutung. Der Satz "Die Reichen kommen und gehen, aber wir sind nicht totzukriegen, denn wir sind das Volk" vom Ma Joad klang für mich immer wie eine Replik auf die Schlusseinstellung von »A Corner in the Wheat«: Die Mühsal geht weiter, der Boden ist ewig.

Da er bleibt, wo er ist, bringt die Industrialisierung der Landwirtschaft Heerscharen von Wanderarbeitern hervor. „Days of Heaven“ (In der Glut des Südens) von Terrence Malick beginnt 1916, ein Jahr vor Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. Auf der Farm von Sam Shepard kommen schon moderne Erntemaschinen zum Einsatz, aber es herrschen noch feudale Strukturen. Ein Geistlicher segnet die Ernte, bevor die Arbeit beginnt. Shepard schnuppert am Saatgut, vielleicht ist Griffith' Film ja bis ins texanische Panhandle vorgedrungen. Der Weizen ist das Element des Films. Die Kameraleute Nestor Almendros und Haskell Wexler stellen visuell mit ihm alles an, was sich mit ihm nur anstellen lässt, vorzugsweise in stimmungsvollem Gegenlicht.

Der Film wurde weitgehend in Kanada gedreht, da die dortigen Getreidesorten 1978 noch höher wuchsen als in den USA. Malick nimmt das Ganze und das Detail in den Blick, er montiert Totalen der endlosen Felder mit extremen Nahaufnahmen, die von Geburt (das Keimen unter der Erde) und Tod (die gefräßigen Heuschrecken) künden. Die harte Arbeit treibt dem jungen Richard Gere das bereits tänzelnde Körperspiel nicht vollends ganz aus, während Brooke Adams und Linda Manz Ähren für einen Strauß pflücken. Die Erzählung durchläuft zwei Jahreszyklen, neben der Heuschreckenplage gefährdet auch eine Feuersbrunst die Ernte. Die traumverlorene Atmosphäre ficht das nicht an (anders als bei Murnau sind die Verheerungen Malick eher nebensächlich), das Getreide wogt im Wind, der hier nie aufzuhören scheint; nach einem Schneefall tropft Tau von den Ähren. Malick inszeniert die Felder auch als eine Bühne: für Shepards romantische Aura, für die melodramatische Dreiecksgeschichte und für Shephards Buchhalter, der seinen Bürotisch mitten in der Natur aufstellt, was die Lohnabrechnung gleich weniger prosaisch und knauserig erscheinen lässt.

Den lyrischen Mehrwert des Weizens schöpft, das hat mich selbst überrascht, kein Regisseur so nachhaltig aus wie Ridley Scott. In »Robin Hood« beansprucht die Kirche das Saatgut in Nottingham für sich. Ihr ist es egal, ob dort die sprichwörtlichen sieben mageren Jahre geherrscht haben, von denen Maid Marian spricht. Robin überfällt den Transport und sät den Weizen auf Geheiß von Bruder Tuck noch in derselben Nacht aus. So kann dieser sich gegenüber dem Kardinal auf ein Wunder berufen. Damit kehrt das Leben in das House of Loxley zurück, was mit einem ausschweifenden Erntefest besiegelt wird.

Scotts »Alien: Covenant« spielt in einem anderen magischen Zeitalter, der Zukunft. Auf dem vermeintlich idyllischen Planeten entdeckt die Besatzung des Raumschiffs ein Weizenfeld mit besonders dicken Ähren. Bestimmt sind sie genmanipuliert. Aber wer hat die Nutzpflanze hier, auf einem fernen Planeten, angebaut? Die Antwort kann in diesem Franchise nur furchterregend sein.

Lebensbejahung und Untergang finden bei Scott ihre Apotheose bereits 17 Jahre zuvor in »Gladiator«. Die erste Einstellung, in der Maximus' Hand über die Ähren streicht, ist ikonisch. Sie dauert weniger als eine Minute, aber sie dominiert den Film. An sie werden sich vermutlich noch zahllose Generationen erinnern. Hans Zimmers Chorgesängen hätte es dazu vielleicht gar nicht bedurft, sie ist mythisch genug. Die warmen Farben künden von Fülle, von Heimat und Freiheit. Maximus' Geste ist die eines Bauern, sanft und behutsam, aber auch schwelgerisch wie die einer Kinofigur. In ihr steckt schon das Thema der Sterblichkeit, wie Ridley Scott im Audiokommentar reklamiert: Die Einstellung war ein Nachgedanke, ein Subtext, der nicht im Drehbuch stand. Sie entstand als letzte am letzten Drehtag in der Toskana, es wird wohl gar nicht Russel Crowes Hand sein, sondern die eines Doubles. Schnittmeister Pietro Scalia nahm sie als poetischen Auftakt. Der Umschnitt auf die metallische Kälte vor der Schlacht gegen die germanischen Barbaren ist ein Schock. Am Schluss merkt man, dass dieses Weizenfeld der Traum eines Sterbenden ist. Scalia greift den Gang durch das Feld noch einmal auf, nun sind die Farben entsättigt und die Geister von Maximus' Frau und Kind erwarten ihn. Ich weiß natürlich nicht mit Sicherheit, ob Scalia und Scott dabei an »A Corner in the wheat« dachten. Aber sie folgen Griffith nach, für den der Weizen der Anfang und das Ende ist.

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